Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Barlach und Reemtsma

 

Mit dem Ernst Bar­lach Haus gehört seit Novem­ber 1962 ein wei­te­res Muse­um zum histo­ri­schen Jenisch-Park. Der Aus­stel­lungs­bau ist dem gro­ßen expres­sio­ni­sti­schen Künst­ler gewid­met. Ernst Bar­lach, am 2. Janu­ar 1870 in Wedel bei Ham­burg gebo­ren, leb­te und arbei­te­te seit 1910 im meck­len­bur­gi­schen Güstrow und starb am 24. Okto­ber 1938 in Rostock. Die Brücke von Güstrow nach Ham­burg bil­det die Stif­tung Her­mann F. Reemts­ma, die die pri­va­te Bar­lach-Samm­lung des Stif­ters und das Aus­stel­lungs­haus betreut.

Zur ersten per­sön­li­chen Begeg­nung zwi­schen Ernst Bar­lach und Her­mann Fürch­te­gott Reemts­ma kam es 1934. Der Ziga­ret­ten­fa­bri­kant such­te den Künst­ler in sei­nem Ate­lier in Güstrow auf. Der Indu­stri­el­le und Kunst­samm­ler war begei­stert von Bar­lachs Pla­sti­ken und erwarb die Holz­skulp­tur »Der Asket«. Über sei­nen ersten Bar­lach-Kauf schrieb Reemts­ma im Novem­ber 1948 an einen Bekann­ten: »Ich bin 1934 zu ihm hin­ge­fah­ren, weil mich sei­ne Kunst, der ich erst zwei Jah­re vor­her bewusst begeg­net war, anging. Alles wei­te­re, was dar­aus folg­te, war inne­re Ver­pflich­tung und hat nichts mit Mäze­na­ten­tum zu tun.«

Nicht erst seit der Macht­über­nah­me der Nazis 1933 war sei­ne Kunst in Holz, Bron­ze und auf Papier, ein­schließ­lich sei­ner Dra­men und sei­ner Pro­sa, uner­wünscht. Schon in der Wei­ma­rer Repu­blik führ­ten völ­kisch-natio­nal Gesinn­te um die von ihm gestal­te­ten Ehren­ma­le, die sich in Güstrow (heu­te in Köln), Kiel, Lübeck und Mag­de­burg befin­den, einen schar­fen Kampf. Seit 1930 ver­kauf­te der Künst­ler sei­ne Arbei­ten immer schlech­ter. Auf­trä­ge blie­ben aus, Aus­stel­lun­gen und Auf­füh­run­gen der Dra­men wur­den immer häu­fi­ger abge­sagt. Die Kunst Bar­lachs wur­de in den Feuil­le­tons natio­na­li­sti­scher Zei­tun­gen mit den Wor­ten »undeutsch« und »min­der­wer­tig« dif­fa­miert. Bar­lachs finan­zi­el­le Situa­ti­on war mehr als schlecht. Doch trotz aller Angrif­fe und der Aus­gren­zung im Kunst­be­trieb arbei­te­te er in sei­nem Güstrower Ate­lier weiter.

Ab 1933 ver­stärk­te sich der poli­ti­sche Druck auf den sen­si­blen Künst­ler. Ernst Bar­lach pass­te sich nicht der faschi­sti­schen Kunst­dok­trin an. Er setz­te wei­ter auf sei­ne ein­deu­ti­ge Hand­schrift. Sei­ne For­men­spra­che blieb ein­fach, klar und direkt. Da der Künst­ler Russ­land kann­te, war in sei­nen Wer­ken immer wie­der auch der rus­si­sche Mensch The­ma. Für die Nazis eine Pro­vo­ka­ti­on. Sie beleg­ten die Arbei­ten des Huma­ni­sten Bar­lach mit dem Stig­ma »ent­ar­te­te Kunst«. In Güstrow kam es zu tät­li­chen Über­grif­fen auf den Künst­ler. Bis zu sei­nem Tod blieb Ernst Bar­lach ein Ver­fem­ter. Dass schreck­li­che Zei­ten kom­men, erfuhr Bar­lach Anfang 1933 durch die Annul­lie­rung eines gro­ßen Auf­tra­ges. Die Schau­spie­le­rin Til­la Durieux und ihr Mann Lud­wig Kat­zenel­len­bo­gen hat­ten beim Künst­ler die Figu­ren­grup­pe »Fries der Lau­schen­den« in Auf­trag gege­ben. Da bei­de 1934 emi­grie­ren muss­ten, kehr­ten die drei bereits fer­tig­ge­stell­ten Holz­fi­gu­ren nach Güstrow zurück. Ernst Bar­lachs finan­zi­el­le Lage war bedroh­lich. In die­ser Situa­ti­on traf der Indu­stri­el­le Her­mann F. Reemts­ma bei sei­nem ersten Ate­lier­be­such in Güstrow den Künst­ler an.

Der Grund­stein für den Ziga­ret­ten­kon­zern, des­sen Mit­be­sit­zer Her­mann F. Reemts­ma war, wur­de in den zwan­zi­ger Jah­ren gelegt. Am 12. Novem­ber 1929 ver­öf­fent­lich­te Die Weltbühne einen mit »Neu­erburg und Reemts­ma« über­schrie­be­nen Bei­trag. Der Autor T. H. Tetens schrieb: »… von rund sie­ben­hun­dert Her­stel­lungs­be­trie­ben aus dem Jah­re 1924 sind kaum mehr als zwei Dut­zend nam­haf­ter Fir­men übrig­ge­blie­ben. Die weni­gen selb­stän­di­gen Fir­men wer­den von den bei­den Mam­mut­kon­zer­nen Reemts­ma und Neu­erburg fast erdrückt, die heu­te schon zusam­men acht­zig Pro­zent der deut­schen Ziga­ret­ten­pro­duk­ti­on beherr­schen.« Und wei­ter: »Der ärg­ste Skan­dal war jedoch die bewuß­te För­de­rung der Inter­es­sen der Kon­zer­ne Reemts­ma und Neu­erburg durch beein­fluß­te hohe Beam­te des Reichs­fi­nanz­mi­ni­ste­ri­ums. Bestimm­te Krei­se hat­ten sich schon immer um die Her­bei­füh­rung der Zwangs­wirt­schaft im Ziga­ret­ten­ge­wer­be bemüht.« Tetens berich­tet, dass das Mini­ste­ri­um 1927 eine Ver­fü­gung erließ, »die unter dem Vor­wand, das Steu­er­auf­kom­men zu sichern, mit einem […] admi­ni­stra­ti­ven Ein­griff die Wirt­schafts­frei­heit des Ziga­ret­ten­ge­wer­bes im Inter­es­se weni­ger Groß­fir­men auf­hob. Die­ser geglück­te Coup brach­te durch die behörd­lich ange­ord­ne­te Her­ab­set­zung des Händ­ler­ver­dien­stes allein dem Kon­zern Reemts­ma eine Son­der­be­rei­che­rung, die hoch in die Mil­lio­nen ging.«

1929 kon­trol­lier­te die Reemts­ma-Grup­pe bereits 40 bis 50 Pro­zent der gesam­ten deut­schen Ziga­ret­ten­pro­duk­ti­on. Nach 1933 stieg der Anteil durch wei­te­re Ein­glie­de­run­gen von Her­stel­lern in die Reemts­ma-Fir­ma auf 80 Pro­zent der Gesamt­pro­duk­ti­on an. 1935 änder­te das Unter­neh­men sei­ne Rechts­form von einer Akti­en­ge­sell­schaft in eine Kom­man­dit­ge­sell­schaft. Haupt­ei­gen­tü­mer der Reemts­ma-Fir­ma war der Bru­der des Kunst­freun­des Her­mann Reemts­ma, Phil­ipp Fürch­te­gott Reemts­ma, der beste Ver­bin­dun­gen zur natio­nal­so­zia­li­sti­schen Macht hat­te. Im August, es kann auch der Sep­tem­ber 1933 gewe­sen sein, das genaue Datum lässt sich nicht fest­stel­len, traf Phil­ipp F. Reemts­ma das erste Mal mit Her­mann Göring zusam­men. Kur­ze Zeit nach der Begeg­nung war der Name Reemts­ma aus der »Kor­rup­ti­ons­li­ste« der Reichs­re­gie­rung gestrichen.

Gleich­zei­tig lei­ste­te der Magnat einen ersten Betrag von vier Mil­lio­nen RM zur Finan­zie­rung von eige­nen Pro­jek­ten des Herrn Feld­mar­schall Her­mann Göring. Die­ser gro­ßen Sum­me folg­ten Beträ­ge von einer Mil­li­on RM jähr­lich. 1934 war Phil­ipp F. Reemts­ma im Auf­sichts­rat der Deut­schen Bank, spä­ter in glei­cher Funk­ti­on bei der Ver­ei­nig­ten Glanz­stoff tätig. 1938 erhielt er den Titel »Wehr­wirt­schafts­füh­rer« verliehen.

Wie Samm­ler Her­mann F. Reemts­ma mit der »ent­ar­te­ten Kunst« und sei­ner eben­falls engen Zusam­men­ar­beit mit den Nazis und sei­nem Tabak­kon­zern leben konn­te, bleibt offen. Er hat alle Ernst-Bar­lach-Wer­ke, die er nach und nach vom Künst­ler in Güstrow direkt erwor­ben oder in spä­te­ren Jah­ren erstei­gert hat­te, sei­ner Stif­tung ver­macht – auch den »Fries der Lau­schen­den«. Damit besitzt das Muse­um in Klein Flott­bek eine der bedeu­tend­sten Samm­lun­gen von Skulp­tu­ren, Zeich­nun­gen und druck­gra­fi­schen Blät­tern Ernst Barlachs.

Untrenn­bar ist Bar­lachs lite­ra­ri­sche Arbeit mit sei­nem Gesamt­werk ver­bun­den. So erschei­nen die berühm­ten Holz­skulp­tu­ren, wie es der Künst­ler 1924 notier­te, als »Kunst-Men­schen«, die, Hand­pup­pen oder Mario­net­ten ver­gleich­bar, auf den Büh­nen von Muse­en, Gale­rien oder Pri­vat­samm­lun­gen auf­tre­ten. Sei­ne Thea­ter­stücke wie »Der arme Vet­ter«, »Die gute Zeit« oder »Der tote Tag« mit einer Fül­le gro­tes­ker Gestal­ten und ihren kar­ne­val­esken Wort­schöp­fun­gen las­sen Kör­per­lich­keit wie Innen­le­ben greif­ba­rer wer­den. Pro­gram­ma­tisch heißt es 1926 in »Der Blaue Boll«: »Wer­den, das ist die Losung!«

Zu erwäh­nen ist die erste umfas­sen­de Ernst-Bar­lach-Bio­gra­fie von Gun­nar Decker, der 2016 mit dem Hein­rich-Mann-Preis aus­ge­zeich­net wur­de. Die Bio­gra­fie ist im Novem­ber 2019 unter dem Titel »Ernst Bar­lach – Der Schwe­ben­de« im Sied­ler Ver­lag in der Ver­lags­grup­pe Ran­dom Hou­se erschienen.

 

Bis 22. März: »›Wer­den, das ist die Losung!‹ Sze­nen zum 150. Geburts­tag von Ernst Bar­lach«, Ernst Bar­lach Haus, Baron-Voght-Stra­ße 50a, 22609 Ham­burg. Täg­lich Diens­tag bis Sonn­tag von 11-18 Uhr. Ein­tritt: 7/​5 €, Kin­der und Jugend­li­che bis 18 Jah­re frei.