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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»Antifaschisten sind wir doch alle«

Das Lan­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz (VS) Bre­men hat sich im ver­gan­ge­nen Herbst mit einem unge­wöhn­li­chen Appell an die Bevöl­ke­rung gewandt und um kon­kre­te Hil­fe im Kampf gegen den gras­sie­ren­den »Rechts­extre­mis­mus« gewor­ben. »Bür­ge­rin­nen und Bür­ger soll­ten ihr Unbe­ha­gen im Kon­takt mit einem mut­maß­li­chen Extre­mi­sten nicht für sich behal­ten oder gar dul­den«, so wird der Bre­mer VS-Behör­den­lei­ter Dierk Schitt­kow­ski in den Medi­en zitiert (Weser-Kurier 17.10.19). Bür­ge­rIn­nen sol­len auf­fäl­li­ge Signa­le, Äuße­run­gen oder Ver­hal­tens­wei­sen anonym und rund um die Uhr über ein ver­trau­li­ches Hin­weis­te­le­fon oder per Mail bei der Behör­de mel­den (taz 17.10.19; Web­auf­tritt des Bre­mer VS: https://www.verfassungsschutz.bremen.de/). »Um einer wei­te­ren Radi­ka­li­sie­rung früh­zei­tig ent­ge­gen­zu­tre­ten, brau­chen wir die Zivil­ge­sell­schaft an unse­rer Sei­te. Ohne geht es nicht … Ich wün­sche mir, dass wir in einen Dia­log ein­tre­ten« (Süd­deut­sche Zei­tung 17.10.19). Denn, so der Bre­mer VS-Chef: »Anti­fa­schi­sten sind wir doch alle.«

Die Bevöl­ke­rung soll also Hin­wei­se auf »Rechts­extre­mis­mus« lie­fern, for­dert der Bre­mer »Ver­fas­sungs­schutz« in sei­nem bun­des­weit ein­ma­li­gen Appell. Dabei gehe es aber nicht um Bespit­zeln oder Denun­zie­ren – doch allein könn­ten die Sicher­heits­be­hör­den den Kampf gegen den Rechts­extre­mis­mus nicht gewin­nen. Zwar räumt der Bre­mer VS-Chef ein, dass nach der Affä­re um den geschass­ten Ex-Prä­si­den­ten des Bun­des­amts für VS, Hans-Georg Maa­ßen (CDU), und sei­ne AfD-Affi­ni­tät sowie nach dem Ermitt­lungs­de­sa­ster im Zusam­men­hang mit der NSU-Mord­se­rie das Ver­trau­en der Bevöl­ke­rung in den VS lang­fri­stig beschä­digt sei. Den­noch – oder gera­de des­halb? – wol­le er den Bre­mer VS soweit es geht öff­nen: »Wir sind kein abge­schot­te­ter Ver­ein, der nur im Gehei­men ope­riert«, geben er und sein Amt sich offen. »Wir sind kein Ver­fas­sungs­schutz, über den man am besten nicht redet, son­dern einer, mit dem man redet« (Weser-Kurier 17.10.19).

Die­se Akti­on klingt irgend­wie nach purer Ver­zweif­lung – ein »Hil­fe­ruf« an die Bevöl­ke­rung, die den Bre­mer VS doch bit­te­schön mit die­sem Pro­blem nicht allein las­sen soll. So viel ist klar: Es han­delt sich um eine Reak­ti­on auf jün­ge­re Atten­ta­te und Ter­ror­ak­te von Rechts­ra­di­ka­len und Neo­na­zis, wie etwa auf den Mord an dem Kas­se­ler Regie­rungs­prä­si­den­ten Wal­ter Lübcke und den anti­se­mi­tisch-frem­den­feind­li­chen Mord­an­schlag in Hal­le. Es ist eine spä­te Reak­ti­on auf eine ver­häng­nis­vol­le Rechts­ent­wick­lung mit star­ken rechts­ter­ro­ri­sti­schen Ten­den­zen, die mit­nich­ten erst mit der Auf­deckung der NSU-Mord­se­rie sicht­bar gewor­den ist, die der VS in Bund und Län­dern aber so lan­ge ver­harm­lost und geleug­net hat. Und es ist wohl auch eine Reak­ti­on dar­auf, dass es »Rechts­extre­mi­sten« zuneh­mend gelingt, gezielt Ein­fluss auf Tei­le der Gesell­schaft und auf öffent­li­che Insti­tu­tio­nen zu neh­men – ob bei der Frei­wil­li­gen Feu­er­wehr, in Gewerk­schaf­ten, Betriebs­rä­ten, sozia­len Ein­rich­tun­gen oder bei Sicher­heits­or­ga­nen wie Bun­des­wehr, Poli­zei, VS-Behör­den und Justiz. Längst gibt es das Pro­blem einer Infil­trie­rung durch rechts­ra­di­ka­le Netz­wer­ke, die in man­chen Sicher­heits­be­hör­den bereits ihr brau­nes Unwe­sen trei­ben – eine wirk­lich ernst­zu­neh­men­de Gefahr. Auch beim Bre­mer VS sol­len sich schon Men­schen mit »extre­mi­sti­schem Hin­ter­grund« auf Stel­len bewor­ben haben.

Und ange­sichts sol­cher Ent­wick­lun­gen und Erfah­run­gen wirbt der Bre­mer Behör­den­lei­ter Dierk Schitt­kow­ski nun in der Bevöl­ke­rung dafür, aus­ge­rech­net den »Ver­fas­sungs­schutz« als Teil der Gesell­schaft und als Teil der Lösung zu sehen, der Ver­trau­en und Unter­stüt­zung ver­die­ne. Er wün­sche sich, dass die Hemm­schwel­le zur Kon­takt­auf­nah­me sin­ke, damit es einen regel­rech­ten Aus­tausch zwi­schen Bür­gern und Lan­des­amt gebe. Dabei sieht er den VS immer noch als »Früh­warn­sy­stem für die Demo­kra­tie«, obwohl er doch in der Ver­gan­gen­heit als sol­ches ideo­lo­gie- und system­be­dingt gran­di­os ver­sagt hat – gera­de was orga­ni­sier­ten Rechtsextremismus/​Neonazismus betrifft. Die lang­jäh­ri­ge ein­sei­ti­ge Prio­ri­tä­ten­set­zung des VS auf »Links­extre­mis­mus«, »Isla­mis­mus« und »Aus­län­der­ex­tre­mis­mus« hat mit dazu bei­getra­gen, dass die Gefah­ren des Neo­na­zis­mus lan­ge Zeit weit­ge­hend aus­ge­blen­det und negiert wor­den sind.

Wie soll man nun eine sol­che Ver­trau­ens­of­fen­si­ve und Offen­heits­be­kun­dung eines Inlands­ge­heim­dien­stes ein­schät­zen und dar­auf reagie­ren? Man könn­te ange­sichts die­ses Vor­sto­ßes ja ein­fach mal auf­at­men und »End­lich!« aus­ru­fen: End­lich hat ein Teil des VS – das klei­ne Bre­mer Lan­des­amt – das Pro­blem erkannt, nimmt es ernst und holt sich bür­ger­schaft­li­che Hil­fe. Rich­tig an dem Vor­stoß ist der Aspekt, dass der Kampf gegen Rechtsradikalismus/​Neonazismus als gesamt­ge­sell­schaft­li­che Auf­ga­be wahr­ge­nom­men wer­den muss: Da ist jede und jeder an ihrem, an sei­nem Platz gefor­dert, mit erhöh­ter Wach­sam­keit und Sen­si­bi­li­tät, zivil­ge­sell­schaft­li­chem Enga­ge­ment und cou­ra­gier­ter Gegen­wehr. Die­ser Abwehr­kampf kann also nicht allein den Sicher­heits­be­hör­den über­las­sen blei­ben, auch wenn sie kei­nes­wegs aus ihrer Ver­ant­wor­tung ent­las­sen wer­den dür­fen – im Gegen­teil. Doch in der Ver­gan­gen­heit hat sich immer wie­der gezeigt, dass es gera­de Anti­fa­schi­sten, anti­fa­schi­sti­sche Grup­pen wie die VVN-BdA (deren Gemein­nüt­zig­keit zyni­scher­wei­se vor Kur­zem aberkannt wor­den ist) oder Netz­wer­ke gegen Rechts sowie Jour­na­li­stIn­nen und Wis­sen­schaft­le­rIn­nen waren und sind, die die Öffent­lich­keit zumeist weit kom­pe­ten­ter über neo­na­zi­sti­sche Ent­wick­lun­gen und Gefah­ren auf­ge­klärt haben als es der VS mit sei­nen auf­ge­rü­ste­ten Behör­den­ap­pa­ra­ten, Geheim­struk­tu­ren und -befug­nis­sen und mit sei­nem pro­ble­ma­ti­schen V-Leu­te-System vermochte.

Tat­säch­lich ist es über­aus wich­tig, in Zei­ten erhöh­ter Gewalt- und Ter­ror­ge­fahr von Rechts beson­ders auf­merk­sam zu sein und die Bevöl­ke­rung ent­spre­chend zu sen­si­bi­li­sie­ren. Ob aber die miss­brauchs­an­fäl­li­ge und nied­rig­schwel­li­ge Auf­for­de­rung eines Geheim­dien­stes zur ver­ein­fach­ten und anony­men Mel­dung »ver­däch­ti­ger Wahr­neh­mun­gen«, also zum Anschwär­zen im rei­nen Gesin­nungs- und Mei­nungs­be­reich und im wei­ten Vor­feld des Ver­dachts der rich­ti­ge Weg ist, das kann und muss mit Fug und Recht bezwei­felt wer­den. Dar­auf soll­te eine selbst­be­wuss­te und kri­ti­sche Zivil­ge­sell­schaft jeden­falls nicht hereinfallen.

In die­sem Zusam­men­hang sind übri­gens die Reak­tio­nen auf den VS-Vor­stoß aus Poli­tik und Gesell­schaft recht inter­es­sant. In den »sozia­len Medi­en« ist zuwei­len von »Anstif­tung zur Denun­zia­ti­on«, von »Spit­zel­men­ta­li­tät« und »tie­fem Miss­trau­en« die Rede, das damit geschürt wer­de. Grü­ne und Lin­ke kri­ti­sie­ren das Ansin­nen mehr oder weni­ger offen­siv und ver­wei­sen auf die »Stär­kung demo­kra­ti­scher Wer­te« und auf »zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment«, das der VS weder erset­zen kön­ne noch sol­le. Nach Auf­fas­sung der Bre­mer FDP klin­ge der Vor­schlag nach Hilf­lo­sig­keit oder »Ohn­macht«; sie setzt dem­ge­gen­über auf bes­se­re Aus­stei­ger­pro­gram­me und eine bes­ser aus­ge­stat­te­te Justiz. Wohin­ge­gen die Bre­mer SPD den Appell begrüßt, schließ­lich sei der VS als Früh­warn­sy­stem »unver­zicht­bar«. Und der CDU-Frak­ti­ons­spre­cher sekun­diert: Es sei schließ­lich Bür­ger­pflicht, Ver­däch­ti­ges zu mel­den. Das stimmt aller­dings nur bedingt, näm­lich dann, wenn es sich um bestimm­te Straf­ta­ten bezie­hungs­wei­se Ver­bre­chen han­delt; nur dann besteht eine gesetz­li­che Pflicht zur Anzei­ge, aller­dings bei Poli­zei oder Staats­an­walt­schaft – und eben nicht beim VS, des­sen Auf­ga­be als geheim­dienst­li­che Vor­feld-Insti­tu­ti­on es ist, den Gesin­nungs- und Mei­nungs­be­reich auszukundschaften.

Die Zivil­ge­sell­schaft für prä­ven­ti­ve Zwecke eines Geheim­dien­stes ein­zu­span­nen, womög­lich Inof­fi­zi­el­le Mit­ar­bei­ter her­an­zu­zie­hen, die Zivil­ge­sell­schaft in die Pflicht zu neh­men und so mit­ver­ant­wort­lich zu machen – das geht tat­säch­lich zu weit. Denn trotz aller Bemü­hun­gen um Offen­heit, für die der Bre­mer VS-Amts­lei­ter ste­hen mag, muss man sich doch immer wie­der klar­ma­chen: Auch der Bre­mer »Ver­fas­sungs­schutz« ist ein Pro­blem­fall der Demo­kra­tie. Es han­delt sich trotz sei­nes euphe­mi­stisch klin­gen­den Tarn­na­mens um einen Geheim­dienst mit klan­de­sti­nen Struk­tu­ren, Mit­teln und Metho­den, der demo­kra­ti­schen Prin­zi­pi­en wider­spricht und skan­dal­ge­neigt arbei­tet. Ein demo­kra­tisch nur schwer kon­trol­lier­ba­rer Inlands­ge­heim­dienst mit der Lizenz zur Des­in­for­ma­ti­on, Infil­tra­ti­on und Aus­for­schung im wei­ten Vor­feld des Ver­dachts. Er ist und bleibt, so wie die ande­ren VS-Behör­den auch, Fremd­kör­per in der Demo­kra­tie und eine poten­ti­el­le Gefahr für Bür­ger­rech­te, Demo­kra­tie und Ver­fas­sung. Die­se Geheim­in­sti­tu­tio­nen sind über ihre bezahl­ten und kri­mi­nel­len Nazi-Spit­zel, über ihr unkon­trol­lier­ba­res V-Leu­te-System längst Teil des Neo­na­zi-Pro­blems gewor­den, haben jeden­falls inso­weit mehr Scha­den ange­rich­tet als Nut­zen gebracht: Denn sie haben auf die­se Wei­se rechts­extre­me Sze­nen und Par­tei­en letzt­lich mit­fi­nan­ziert und ras­si­stisch geprägt, kri­mi­nel­le V-Leu­te gegen Poli­zei­er­mitt­lun­gen abge­schirmt und sich selbst mit Akten­schred­de­rei und Ver­tu­schun­gen gegen demo­kra­ti­sche Kon­trol­len geschützt. Grund­sätz­li­che Ände­run­gen sind lei­der nicht in Sicht – allen­falls wei­te­re Ver­schär­fun­gen der pre­kä­ren Situa­ti­on durch Geset­zes­no­vel­lie­run­gen, Befug­nis­er­wei­te­run­gen und Aus­bau der VS-Behörden.

 

Rolf Gös­s­ner, Mit­her­aus­ge­ber von Ossietzky, ist Rechts­an­walt, Publi­zist und Sach­ver­stän­di­ger in Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren von Bun­des­tag und Land­ta­gen. Rolf Gös­s­ner wur­de vier Jahr­zehn­te lang vom Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz dau­er­über­wacht – grund­rechts­wid­rig, wie zuletzt das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Nord­rhein-West­fa­len (2018) nach 13-jäh­ri­ger Ver­fah­rens­dau­er in 2. Instanz ent­schied (s. unter ande­rem Ossietzky 22/​2010, 2/​2012, 24/​2015, 6/​2018). Gegen die­ses Beru­fungs­ur­teil hat die Bun­des­re­gie­rung Revi­si­on zum Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt ein­ge­legt. Ende und Aus­gang ungewiss.