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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Dem Unrecht wehren

»Denn ein Jurist, der nicht mehr denn ein Jurist ist, ist ein arm Ding«, for­mu­lier­te einst Mar­tin Luther. Ich fühl­te mich an das Zitat erin­nert, als bekannt wur­de, dass das Amts­ge­richt Eisen­ach Anfang Okto­ber die aus Ber­lin stam­men­de und bun­des­weit bekann­te Irmela Men­sah-Schramm wegen Sach­be­schä­di­gung zu einer Geld­stra­fe von 15 Tages­sät­zen á 70 Euro verurteilte.

Die 73-Jäh­ri­ge ist bereits seit mehr als drei Jahr­zehn­ten in der Bun­des­re­pu­blik unter­wegs, um gegen Nazi­sym­bo­le und ande­re rech­te Schmie­re­rei­en vor­zu­ge­hen, die an öffent­li­chen Stel­len wie Häu­ser­wän­den, Lit­faß­säu­len oder auf Pla­ka­ten ange­bracht wur­den. Sie über­klebt, über­malt oder über­sprayt das unsäg­li­che Gedan­ken­gut, um des­sen Aus­brei­tung und Pro­pa­gie­rung zu ver­hin­dern. Das erfor­dert Mut, Cou­ra­ge und kör­per­li­chen Ein­satz, von finan­zi­el­len Auf­wen­dun­gen ganz zu schwei­gen. Für das aner­ken­nens­wer­te Enga­ge­ment erhielt sie unter ande­rem das Bun­des­ver­dienst­kreuz, den Göt­tin­ger Frie­dens­preis und 2019 von der Stadt Erfurt den Jochen-Bock-Preis. Immer wie­der über­sprüh­te sie Nazi­sym­bo­le mit roten Her­zen, so auch im Dezem­ber 2018, als sie die Buch­sta­ben NS in der Paro­le »NS- Zone« mit einem roten Her­zen ver­deck­te. Dabei wur­de sie beob­ach­tet und foto­gra­fiert. So kam es zur Ankla­ge­er­he­bung vor dem Amts­ge­richt Eisen­ach. Das sah im Han­deln von Irmela Men­sah-Schramm eine Sach­be­schä­di­gung, die straf­recht­lich sank­tio­niert wer­den müs­se. In der Ver­gan­gen­heit waren Ver­fah­ren vor ande­ren Gerich­ten gegen sie immer wie­der ein­ge­stellt wor­den. Im Eisen­acher Ver­fah­ren wur­de ihr das Ange­bot unter­brei­tet, 500 Euro an eine gemein­nüt­zi­ge Ein­rich­tung zu zah­len, dann wür­de das Ver­fah­ren end­gül­tig ein­ge­stellt. Das lehn­te sie zu Recht ab, so dass das Gericht ein Urteil ver­kün­de­te. Dabei ist es doch Sach­be­schä­di­gung, wenn Nazis ihre Paro­len an allen mög­li­chen Stel­len an die Wän­de schmie­ren. Für die Urhe­ber sol­cher Krit­ze­lei­en soll­te man sich statt­des­sen mehr inter­es­sie­ren. Der Spre­cher des Amts­ge­richts ver­weist hin­ge­gen mit Blick auf das Urteil gegen Men­sah-Schramm dar­auf, dass es recht­lich Sach­be­schä­di­gung blei­be, unab­hän­gig von den Moti­ven ihres Handelns.

Unwill­kür­lich muss ich dabei neben dem Luther-Zitat auch an die in der DDR gel­ten­den Vor­aus­set­zun­gen der straf­recht­li­chen Ver­ant­wort­lich­keit den­ken. Dort muss­ten Straf­ta­ten gesell­schafts­wid­ri­ge oder gesell­schafts­ge­fähr­li­che Hand­lun­gen sein, um als sol­che zu gel­ten. In Para­graf 3 Absatz 1 des dama­li­gen Straf­ge­setz­bu­ches war dar­über hin­aus aus­drück­lich gere­gelt: »Eine Straf­tat liegt nicht vor, wenn die Hand­lung zwar dem Wort­laut eines gesetz­li­chen Tat­be­stan­des ent­spricht, jedoch die Aus­wir­kun­gen der Tat auf die Rech­te und Inter­es­sen der Bür­ger oder der Gesell­schaft und die Schuld des Täters unbe­deu­tend sind.« Die Rege­lung war zugleich recht­li­ches Instru­ment, wel­ches vor For­ma­lis­mus schütz­te. So war es auch mög­lich, den Sinn des Han­delns zu beur­tei­len und sich dabei auch von den Inter­es­sen des Vol­kes lei­ten zu las­sen. Man kann sich kaum vor­stel­len, dass heu­te ein Inter­es­se dar­an bestehen soll, Akti­vi­sten, die gegen öffent­li­che Nazi­sym­bo­le ein­schrei­ten, zu kri­mi­na­li­sie­ren. Es bleibt zu hof­fen, dass Irmela Men­sah-Schramm, wie von ihr ange­kün­digt, gegen das Urteil Beru­fung ein­ge­legt hat und dass das Land­ge­richt Mei­nin­gen sich bei sei­ner spä­te­ren Ent­schei­dung von die­sem Gedan­ken lei­ten lässt und sie von dem Vor­wurf frei­spricht oder das Ver­fah­ren fol­gen­los ein­stellt. Sie hat in jedem Fal­le unse­re Sym­pa­thie, han­delt sie doch auch im Sin­ne Ossietz­kys, wenn sie sich gegen nazi­sti­schen Ungeist zur Wehr setzt.