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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der 30. Januar 1933

Schon ein Jahr vor die­sem ver­häng­nis­vol­len Tag, Anfang 1932, erschien in der Zeit­schrift Evan­ge­li­sche Wahr­heit ein Auf­satz, in dem der Ver­fas­ser, der Gene­ral­se­kre­tär der Deut­schen Christ­li­chen Stu­den­ten­ver­ei­ni­gung, »das poli­ti­sche Gesicht der Zeit« beschreibt. Für den Natio­nal­so­zia­lis­mus, eine »Volks­be­we­gung«, emp­fin­de er wegen des­sen »umfas­sen­den Opfer­muts größ­te Ach­tung«, und er pro­phe­zeit: »Es ist mit gro­ßer Bestimmt­heit zu erwar­ten, dass der Natio­nal­so­zia­lis­mus noch im Lau­fe die­ses Jah­res, ver­mut­lich schon im Früh­jahr, in irgend­ei­ner Form an der Regie­rung betei­ligt wird. Die Fra­ge, ob das wün­schens­wert ist, ist mit Ja zu beant­wor­ten.« Der Ver­fas­ser wuss­te: Der Natio­nal­so­zia­lis­mus und die evan­ge­li­sche Kir­che stim­men in ihren Grund­aus­sa­gen über­ein: Gegen Demo­kra­tie, gegen Libe­ra­lis­mus, gegen Sozia­lis­mus vor allem und für einen star­ken Natio­na­lis­mus, der die »Schan­de von Ver­sailles« end­lich rächen könn­te – das ver­kün­dig­ten, schon vor 1933, etwa 70 bis 80 Pro­zent der evan­ge­li­schen Pfar­rer. In der Lan­dess­kir­che Han­no­vers etwa, wo der luthe­ri­sche Lan­des­bi­schof Marah­rens von den Pfar­rern einen Treue­eid auf Hit­ler ver­lang­te, der dem Ordi­na­ti­ons­ge­lüb­de wider­sprach, ver­wei­ger­ten nur 11 von den über 1000 Pfar­rern die­sen Treueeid.

Als dann genau ein Jahr spä­ter jener Wunsch erfüllt war und der in der evan­ge­li­schen Kir­che so heiß­ge­lieb­te Reichs­prä­si­dent Paul von Hin­den­burg Hit­ler, den »treu­sten Sohn Deutsch­lands«, zum Reichs­kanz­ler ernannt hat­te, da brach in der evan­ge­li­schen Kir­che ein Jubel aus, der fort­an nicht weni­ger wur­de, gleich, was für Scheuß­lich­kei­ten die her­bei­ge­wünsch­te Regie­rung auch anrich­te­te. Der zitier­te Gene­ral­se­kre­tär erklär­te nun: »Wir ste­hen dank­bar und ent­schlos­sen hin­ter Hin­den­burg und Hit­ler als den Füh­rern unse­res Staa­tes« (Jun­ge Kir­che 4/​1933, S. 43).; und, etwas aus­führ­li­cher, in sei­ner Schrift »Chri­stus im deut­schen Schick­sal«: »Unse­re Geschich­te ist noch ein­mal in einen glut­flüs­si­gen Zustand gera­ten, und nun gehen unse­re Hoff­nun­gen, Wün­sche, Erwar­tun­gen, Ent­schei­dun­gen mit dem neu­en Mor­gen, dass etwas Gro­ßes und Gewal­ti­ges dar­aus wer­de und unser Volk sei­ne Got­tes­stun­de begrei­fe.« Was heu­te »Zei­ten­wen­de« genannt wird, war für ihn eine »Got­tes­stun­de« oder auch, etwas pro­fa­ner, ein­fach »eine Wen­de«. So erklär­te die evan­ge­li­sche Kir­che zum 30. Janu­ar 1933: »Zu die­ser Wen­de der Geschich­te spre­chen wir ein dank­ba­res Ja! Gott hat sie uns geschenkt!«

Der Pre­di­ger der Got­tes­stun­de konn­te in der Fol­ge­zeit noch viel Gro­ßes und Gewal­ti­ges ver­mel­den, was die­se Got­tes­stun­de dem deut­schen Volk geschenkt hat­te, z.B. die »Hit­ler­ju­gend«: »Man kann nir­gend­wo rei­ner, anzie­hen­der und über­zeu­gen­der sehen, was es um das neue Deutsch­land ist. (…) Wil­lig­keit und Lau­ter­keit der Hin­ga­be an das neue poli­ti­sche Leben ist das Signum die­ser jun­gen deut­schen Gene­ra­ti­on« (All. Ev. luth. Kir­chen­zei­tung, 18/​1935, Sp. 1136). Hin­ga­be ver­lang­te bald danach der deut­sche Angriffs­krieg 1939. Dazu wies der Hit­ler­be­wun­de­rer in drei Muster­kriegs­pre­dig­ten und in sei­ner Schrift von 1941 »Der Krieg als gei­sti­ge Lei­stung« auf die Not­wen­dig­keit hin, das eige­ne »Leben zu opfern«: »Es muss nicht nur auf den Kop­pel­schlös­sern der Sol­da­ten, son­dern in Herz und Gewis­sen ste­hen: Mit Gott! Nur im Namen Got­tes kann man dies Opfer legi­ti­mie­ren.« Die­se Schrift kam bei den Macht­ha­bern so gut an, dass er »amt­lich geför­dert« wer­den soll­te. 1947 wur­de er der Lan­des­bi­schof der größ­ten deut­schen luthe­ri­schen Lan­des­kir­che in Han­no­ver. Sein Name: Hanns Lil­je. Sein Freund war der Ber­li­ner Bischof Otto Dibe­l­i­us, der sich 1945 selbst zum Bischof gemacht hat­te und 1949 lang­jäh­ri­ger Rats­vor­sit­zen­der der evan­ge­li­schen Kir­che wur­de. Gemein­sam tru­gen bei­de dann maß­geb­lich dazu bei, die vom Ade­nau­er in den 1950er Jah­ren betrie­be­ne Remi­li­ta­ri­sie­rung durchzusetzen.

Otto Dibe­l­i­us´ Auf­stieg bis ins höch­ste Amt in der evan­ge­li­schen Kir­che wäre nicht denk­bar ohne sei­ne lebens­lan­ge Glo­ri­fi­zie­rung des Krie­ges und des Sol­da­ten­stan­des. Wäh­rend der Ersten Welt­krie­ges gab er jähr­lich eine Pre­digt­samm­lung her­aus; zu Beginn, 1914, pre­dig­te er unter dem Bekennt­nis »Gott mit uns«, was angeb­lich »durch jedes deut­sche Herz klingt: Der Tod fürs Vater­land ist ein herr­li­cher Tod. Ehre denen, die ihn ster­ben. Dank­bar gedenkt ihrer das Vater­land.« Und am Ende des Krie­ges, 1918, will er nichts davon wis­sen, dass das Mor­den auf­hört. »Ver­stän­di­gungs­frie­den: Ja oder Nein? (…) Die Ant­wort heißt: Nein! Nicht Ver­zicht oder Ver­stän­di­gung, son­dern Aus­nut­zung unse­rer Macht bis zum Äußer­sten.« 1930 brach­te er eine Schrift her­aus mit dem Titel »Frie­de auf Erden?«, in der es heißt: »Der Krieg (ist) eine natür­li­che Lebens­ord­nung der Völ­ker. Auch die Reli­gi­on erhebt dage­gen nicht Pro­test. Auch das Chri­sten­tum nicht.« Eine Kapi­tel­über­schrift lau­tet »Die Freu­de am Krieg«: Der Kriegs­freund erfährt dazu: »Nicht nur der Sol­dat freut sich. Sie freu­en sich alle, die sich nach dem Unge­wöhn­li­chen seh­nen.« Das also schrieb der Ver­fas­ser 1930. Jetzt muss­ten nur noch die die Macht erhal­ten, die mit einer sol­chen Freu­de den Krieg auch wirk­lich her­bei­füh­ren woll­ten. Nach der Reichs­tags­wahl Anfang März 1933 konn­te er an »sei­ne« Pfar­rer über die neu­en Macht­ha­ber der NSDAP beglückt schrei­ben: »Nun sind Macht und Mas­se wie­der bei denen, die die Kir­che beja­hen und zu denen sich die treu­en Besu­cher der Kir­che in ihrer erdrücken­den Mehr­heit poli­tisch beken­nen.« Und die­sen Macht­ha­bern gab er dann am »Tag von Pots­dam«, am 21.März 1933, in sei­ner Pre­digt in der Niko­lai­kir­che grü­nes Licht für ihr ver­bre­che­ri­sches Tun: »Wir haben von Dr. Mar­tin Luther gelernt, dass die Kir­che der recht­mä­ßi­gen staat­li­chen Gewalt nicht in den Arm fal­len darf, wenn sie tut, wozu sie beru­fen ist. Auch dann nicht, wenn sie hart und rück­sichts­los schal­tet.« Her­mann Göring, so wird über­lie­fert, hat das sehr gefallen.

Sei­ner »Freu­de am Krieg« blieb Dibe­l­i­us offen­kun­dig auch nach 1945 treu. Neben sei­nem erwähn­ten Enga­ge­ment für die Remi­li­ta­ri­sie­rung fand er in den 1950er Jah­ren auch ent­spre­chen­de Wor­te in der Aus­ein­an­der­set­zung um die Aus­rü­stung der Bun­des­wehr mit tak­ti­schen Atom­waf­fen, wie sie der CDU-Kanz­ler Kon­rad Ade­nau­er, sein Par­tei­freund, anstreb­te. Der Histo­ri­ker Man­fred Gör­tema­ker hält in sei­nem Buch »Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land« (1999, S. 259) fest: »Karl Otto Dibe­l­i­us, der als Vor­sit­zen­de des Rates der Evan­ge­li­schen Kir­che ver­si­cher­te, dass selbst die Anwen­dung einer Was­ser­stoff­bom­be vom christ­li­chen Stand­punkt aus nicht ein­mal eine so schreck­li­che Sache sei, da wir alle dem ewi­gen Leben zustre­ben. Wenn eine sol­che Bom­be eine Mil­li­on Men­schen töte, so erreich­ten die Betrof­fe­nen ›umso schnel­ler das ewi­ge Leben‹«. »Freu­de am Krieg«, ja, Atom­krieg – das war die Bot­schaft des Otto Dibe­l­i­us. Ihm wur­de im Kal­ten Krieg in West-Ber­lin 1958 die Ehren­bür­ger­schaft zuteil.