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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der Homer der Perser

Die Ira­ner ver­eh­ren und lie­ben ihre Dich­ter. Des­halb besu­chen wir 25 Kilo­me­ter nörd­lich von Mash­had, am Ran­de der einst bedeu­ten­den Sei­den­stra­ßen-Han­dels­stadt Tūs, das impo­san­te Grab­mal von Abu l-Qāsim Fer­dowsi. Er gilt als der per­si­sche Homer.

Erst ein­mal aber hat Mans­ur, unser Fah­rer, Mühe, den Klein­bus durch den dich­ten Auto­ver­kehr der Groß­stadt zu steu­ern. Auch auf den Auto­bah­nen rund um Mash­had herrscht reger (LKW-)Verkehr. Ich wer­te das als ein Zei­chen dafür, dass die US-Sank­tio­nen die ira­ni­sche Wirt­schaft noch nicht stran­gu­liert haben und dass die ille­ga­le US-Wirt­schafts­blocka­de doch nicht so lücken­los ist, wie die USA wol­len. Auch mei­ne Befürch­tung, dass gro­ße Tei­le der ira­ni­schen Bevöl­ke­rung inzwi­schen wegen der Sank­tio­nen in Armut und Elend ver­sun­ken sind, kann der erste Augen­schein nicht bestä­ti­gen. Wäh­rend der gan­zen Rei­se sehe ich kei­ne Obdach­lo­sen und – abge­se­hen von zwei alten Frau­en – auch kei­ne bet­teln­den Menschen.

Schließ­lich steu­ern wir auf einen grü­nen Park zu, durch den ira­ni­sche Fami­li­en und Paa­re schlen­dern. Es sind längst nicht so vie­le wie in Shiraz in den Gär­ten rund um die Grä­ber von Saa­di und Hafiz. Aber das mag Zufall sein. Hin­ter einem gro­ßen gemau­er­ten Was­ser­becken erhebt sich in der Mit­te der gepfleg­ten Grün­an­la­ge das Mau­so­le­um, ein wür­fel­för­mi­ger Klotz aus wei­ßem Mar­mor, der auf zwei brei­ten Sockeln ruht. Die stu­fen­för­mi­ge Gestal­tung ähnelt dem Grab von Kyros dem Gro­ßen in Pas­ar­gard, in der Step­pe nahe Shiraz. Die schmücken­den Säu­len an sei­ner Außen­fas­sa­de erin­nern an Per­se­po­lis. Die­se Anmu­tung ist wohl beab­sich­tigt. Es war Reza Khan, der Vater des letz­ten Schahs der Pahl­avi-Dyna­stie, der den Befehl gab, das Grab­mal zum 1000. Geburts­tag von Fer­dowsi im Jahr 1934 zu errich­ten. Die Pahl­avis waren auto­ri­tär bemüht, per­si­sche Tra­di­tio­nen aus der Zeit vor der isla­mi­schen Erobe­rung des Irans als Gegen­ge­wicht zum Ein­fluss der Mul­lahs zu popu­la­ri­sie­ren. Dazu eig­net sich Fer­dowsi bedingt. Der Dich­ter war Mos­lem, aber in den 60.000 Ver­sen sei­nes monu­men­ta­len Haupt­werks »Schāhnā­me« (»Buch der Köni­ge«) habe er ara­bi­sche Begrif­fe kon­se­quent ver­mie­den und durch Begrif­fe in Far­si ersetzt, erläu­tert Hart­mut Nie­mann, unser Rei­se­lei­ter: »Fer­dowsi hat damit einen wich­ti­gen Bei­trag zum Erhalt der Spra­che und Kul­tur der Per­ser im Iran geleistet.«

Nie­manns Assi­stent Moj­ta­bah liest uns Ver­se aus dem »Schāhnā­me« vor, die in die Außen­wän­de des Mau­so­le­ums gemei­ßelt sind; so bekom­men wir einen Ein­druck vom Wohl­klang und Rhyth­mus der Spra­che. Im Innern des Grab­raums ver­har­ren Ira­ner andäch­tig am Gedenk­stein für den Dich­ter, legen vol­ler Ehr­furcht ihre Hän­de auf die Marmorplatte.

Nach die­sem Aus­flug geht es über gut aus­ge­bau­te Auto­bah­nen in Rich­tung Süden. Immer wie­der sehen wir am Stra­ßen­rand grün-wei­ße Autos der Poli­zei, die die Ein­hal­tung der Geschwin­dig­keits­be­gren­zung auf 120 Kilo­me­ter pro Stun­de mit mobi­len Radar­ge­rä­ten über­wacht. Wir pas­sie­ren bewäs­ser­te Äcker, die grü­ne Tup­fer ins alles domi­nie­ren­de Braun der brett­fla­chen Step­pe set­zen. Die geht irgend­wo hin­ter dem Hori­zont im Westen in die gro­ße Salz­wü­ste über, die Dasht-e-Kavir, wäh­rend sich bald im Süd­osten von uns, hin­ter den mehr als 4000 Meter hohen Ber­gen des Kuh­ha-ye-Kuh­paye-Gebir­ges, die Wüste Kavir-e-Lut erstreckt.

Die­se Topo­gra­phie, der Wech­sel von fla­cher Hoch­land-Step­pe und Gebir­gen, ist für den Iran ein Glück. An den Ber­gen reg­nen sich in Win­ter und Früh­jahr Wol­ken ab, wäh­rend im Som­mer die Son­ne das Land ver­brennt. Das Was­ser sam­melt sich am Fuß der Gebir­ge, von wo es seit rund 3000 Jah­ren in unter­ir­di­schen Kanä­len, den kunst­voll und mit äußerst gerin­gem Gefäl­le kilo­me­ter­lang gegra­be­nen Qana­ten, in die Gär­ten der Städ­te und Dör­fer gelei­tet wird. Als wir am stau­bi­gen Rand der Stadt Gona­bad in eine etwa drei Meter unter der Erde ver­lau­fen­de, mit Zie­geln aus­ge­mau­er­te Qanat­an­la­ge hin­ab­stei­gen, flüch­tet sich dort ein wenig beklei­de­ter Mann aus einem Was­ser­becken erschrocken in eine Mau­er­ni­sche. Wir haben ihn bei einem erfri­schen­den Bade über­rascht. In Gona­bad und meh­re­ren ande­ren Städ­ten hat die Unesco die Qana­te als Teil des Welt­kul­tur­er­bes unter ihren Schutz gestellt. Zahl­rei­che Was­ser­mu­se­en erklä­ren ihre Funk­ti­ons­wei­se und ihre nicht zu über­schät­zen­de Bedeu­tung für das Leben in dem ari­den Land.

Der Iran hat die ver­gan­ge­nen drei Jahr­zehn­te unter einer extre­men Dür­re gelit­ten, bis wäh­rend der letz­ten bei­den Früh­jah­re uner­war­tet gewal­ti­ge Was­ser­mas­sen über den Gebir­gen nie­der­gin­gen und Über­schwem­mun­gen Hun­der­te Tote for­der­ten. Der dro­hen­de Was­ser­not­stand ist damit aber nicht beho­ben. Süd­lich von Mash­had ist der Grund­was­ser­spie­gel von 80 Meter Tie­fe auf 150 Meter Tie­fe gesun­ken. Bereits 2013 warn­te Agrar­mi­ni­ster Isa Kal­ant­a­ri, die Was­ser­not sei »gefähr­li­cher als Isra­el, die USA oder die poli­ti­schen Macht­kämp­fe« im Land. Moj­ta­bah und sei­ne Frau Fate­meh, die im Nord­we­sten des Irans nahe dem Urmia-See woh­nen, berich­ten, das rie­si­ge Bin­nen­ge­wäs­ser dro­he auszutrocknen.

Es ist schon dun­kel, als wir gegen 19 Uhr in unse­rem Quar­tier in der Nähe von Tabas ein­tref­fen, dem alten Lehm­dorf Esfa­hak. Klei­ne Öllam­pen leuch­ten uns den Weg zu einer tra­di­tio­nel­len Unter­kunft, in der wir wie Ira­ner auf Tep­pi­chen schla­fen wer­den. Ein jun­ger Mann in wei­ßem Hemd und wei­ßer Lei­nen­ho­se begrüßt uns herz­lich, zeigt uns unse­re Zim­mer und die sau­ber geflie­sten Toi­let­ten und Duschen. Alle Räu­me, in denen es dank der Lehm­wän­de ange­nehm kühl ist, grup­pie­ren sich um einen Innen­hof. In des­sen Mit­te lang­weilt sich ein ein­sa­mer Gold­fisch in einem Was­ser­becken. Dane­ben wächst ein jun­ger Fei­gen­baum. Im Haus gibt es elek­tri­sches Licht, so dass wir auf der Tep­pich-Schlaf­statt noch lesen kön­nen. Die Unter­la­ge sei unge­wohnt hart, mur­ren am näch­sten Mor­gen eini­ge mei­ner Freunde.

Das Dorf Esfa­hak war 1978 – wie auch die benach­bar­te klei­ne Groß­stadt Tabas – durch ein Erd­be­ben zer­stört wor­den. Die Bewoh­ner stan­den, soweit sie über­lebt hat­ten, vor dem Nichts. Die mei­sten zogen weg. Sie­ben jun­ge Fami­li­en aber gaben sich und ihre Dat­tel­gär­ten nicht auf, sie schlos­sen sich zu einer Genos­sen­schaft zusam­men und bau­ten meh­re­re Lehm­häu­ser wie­der auf, um sie als Öko-Hotel stadt­mü­den Ira­nern für Urlaubs­ta­ge zu ver­mie­ten. Eine erfolg­rei­che Idee, die Nach­ah­mer gefun­den hat. Aktu­ell kön­nen die Öko-Tou­ris­mus-Pio­nie­re aus Esfa­hak dar­auf hof­fen, im März bei der Inter­na­tio­na­len Tou­ris­mus-Bör­se Ber­lin für ihr muti­ges Pro­jekt mit einem Preis für nach­hal­ti­gen Tou­ris­mus geehrt zu werden.

Öllam­pen lei­ten uns zum Abend­essen in ein Lehm­haus drei Dorf­stra­ßen wei­ter. Hin­ter einem Foy­er rei­hen sich in einem hohen, lan­gen Raum schma­le Holz­ti­sche und Stüh­le zu einer lan­gen, geschmack­voll gedeck­ten Tafel; hin­ter dem bun­ten Vor­hang der angren­zen­den Küche lugen ab und an neu­gie­rig Kin­der zu uns her­über, machen Späß­chen. Es gibt ein Pot­pour­ri fri­scher Kräu­ter, Kar­tof­fel­ome­lett, gedün­ste­tes Gemü­se und Joghurt zum Essen. Anschlie­ßend wech­seln wir auf die nacht­stil­le Ter­ras­se des Tee­hau­ses unter den Ster­nen­him­mel, wo Frau­en Pfef­fer­minz­tee ser­vie­ren. Dane­ben befin­det sich das restau­rier­te Bade­haus, des­sen Was­ser im gro­ßen Becken am näch­sten Abend für uns auf­ge­heizt wird. Ent­span­nung pur, erst für die Frau­en, dann für die Männer.

In der näch­sten Aus­ga­be: Zu star­ken Frau­en in die Wüste Lut. Der erste Teil der Rei­se­no­ti­zen von Rai­ner Buten­schön erschien in Heft 23/​2019 unter dem Titel »Im Epi­zen­trum der ira­ni­schen Schiiten«.