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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Mit dem Papst die Atomwaffen abschaffen

Papst Fran­zis­kus hat in einer frie­dens­po­li­ti­schen Grund­satz­re­de in Naga­sa­ki im Novem­ber die Abschaf­fung von Atom­waf­fen gefor­dert und Waf­fen­ex­por­te als »him­mel­schrei­en­des Unrecht« (eige­ne Über­set­zung) kri­ti­siert. Die katho­li­schen Akti­vi­sten der US-Frie­dens­be­we­gung »Schwer­ter zu Pflug­scha­ren« (Swords into Plow­sha­res) haben den Japan-Besuch des Pon­ti­fex genau ver­folgt und füh­len sich »voll­kom­men bestä­tigt« in ihren radi­ka­len wie gewalt­frei­en Aktionen.

Der päpst­li­che Appell zur ato­ma­ren Abrü­stung erging nur vier Wochen, nach­dem ein Gericht in Bruns­wick im US-Bun­des­staat Geor­gia Cla­re Gra­dy (60), Patrick O‘Neill (60) und Car­men Trot­ta (56), Pater Ste­ve Kel­ly (70), Mark Col­ville (57), Mar­tha Hen­nes­sy (62) und Eliza­beth McA­li­ster, die im Novem­ber ihren 80. Geburts­tag fei­er­te, für schul­dig befand, weil sie an einer Pro­test­ak­ti­on gegen Atom­waf­fen auf der Kings-Bay-Mari­ne­ba­sis teil­ge­nom­men hat­ten. Der US-Stütz­punkt beher­bergt min­de­stens sechs ato­ma­re U-Boo­te, von denen jedes mit 20 ther­mo­nu­klea­ren Trident-Inter­kon­ti­nen­tal­ra­ke­ten bestückt ist. Die »Kings Bay Plow­sha­res Seven« (#KBP7), wie sich die Akti­vi­sten selbst nen­nen, hat­ten sich am 4. April 2018, dem 50. Jah­res­tag der Ermor­dung des US-Bür­ger­recht­lers Mar­tin Luther King, Zugang zu dem Mili­tär­stütz­punkt ver­schafft, »bewaff­net« mit Häm­mern, Absperr­bän­dern und einer Ankla­ge­schrift, in der sie die US-Regie­rung der Ver­übung von Ver­bre­chen gegen den Frie­den beschul­dig­ten. An Wän­de sprüh­ten sie Paro­len gegen die Sta­tio­nie­rung von Atom­waf­fen, aus Baby­fla­schen ver­spritz­ten sie Blut von sich. Mit im Gepäck hat­ten sie auch ein Exem­plar von Dani­el Ellsbergs Buch »The Doomsday Machi­ne: Con­fes­si­ons of a Nuclear War Plan­ner«. Der US-Whist­le­b­lower, inter­na­tio­nal bekannt gewor­den durch die Ent­hül­lung der Pen­ta­gon-Papie­re über die Lügen des Viet­nam­krie­ges, berich­tet in sei­nem neu­en, lei­der noch nicht ins Deut­sche über­setz­ten Buch von der Zeit, als er in den 1960er Jah­ren in US-Sicher­heits­be­hör­den mit der Pla­nung und Vor­be­rei­tung eines Atom­krie­ges beschäf­tigt war und zum Frie­dens­ak­ti­vi­sten wurde.

Nach nur vier Ver­hand­lungs­ta­gen befand eine zwölf­köp­fi­ge Jury alle Ange­klag­ten der #KBP7 in sämt­li­chen Ankla­ge­punk­ten für schul­dig: »Ver­schwö­rung«, »Zer­stö­rung von Eigen­tum« an der Kings Bay-Mari­ne­ba­sis und »Ver­wü­stung von Staats­ei­gen­tum« sowie »unbe­fug­tes Betre­ten« eines Mili­tär­ge­län­des. Beweg­grün­de für die Pro­test­ak­ti­on durf­ten vor Gericht nicht vor­ge­tra­gen wer­den. Eben­so wenig durf­te Dani­el Ellsberg als Zeu­ge der Ver­tei­di­gung gehört wer­den. In den kom­men­den sechs Wochen will Rich­te­rin Lisa God­bey das genaue Straf­maß ver­kün­den. Den sie­ben dro­hen jeweils bis zu 25 Jah­re Gefängnis.

Papst Fran­zis­kus‘ Appell für glo­ba­le Anstren­gun­gen zur Abschaf­fung von Atom­waf­fen vor­weg­neh­mend, erklär­te Mar­tha Hen­nes­sy nach dem Schuld­spruch am 24. Okto­ber in Bruns­wick: »Die Waf­fen sind noch immer da. Wir müs­sen es wei­ter ver­su­chen. Wir haben kei­ne ande­re Wahl.«

Atom­waf­fen sind ein »Anschlag auf die Mensch­heit«, sag­te Papst Fran­zis­kus in Naga­sa­ki am 24. Novem­ber, ihr Besitz sei grund­sätz­lich zu ver­ur­tei­len. »Eine Welt in Frie­den und frei von Atom­waf­fen ist das Bestre­ben von Mil­lio­nen von Män­nern und Frau­en über­all auf der Erde.« (Über­set­zung: vaticannews.va) Der Vati­kan hat­te die japa­ni­sche Stadt bewusst für die wich­ti­ge Frie­dens­bot­schaft des katho­li­schen Kir­chen­obe­ren gewählt: Am 9. August 1945 hat­te ein US-Flug­zeug eine Atom­bom­be über deren Zen­trum abge­wor­fen und mehr als 70.000 Men­schen getö­tet. Eine erste Atom­bom­ben­de­to­na­ti­on drei Tage zuvor in Hiro­shi­ma hat­te 140.000 Men­schen­le­ben gefordert.

»Die­ser Ort macht uns tie­fer bewusst, wel­chen Schmerz und Schrecken wir Men­schen ein­an­der zuzu­fü­gen fähig sind«, erklär­te Papst Fran­zis­kus im Hypo­cen­ter Park, wo er an dem zehn Meter hohen Denk­mal einen Gedenk­kranz mit wei­ßen Blu­men nie­der­leg­te, den ihm Über­le­ben­de des vor 74 Jah­ren ver­üb­ten Kriegs­ver­bre­chens über­reicht hatten.

»Der Besitz von Atom­waf­fen und ande­rer Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen ist nicht die geeig­ne­te Ant­wort auf den Wunsch nach Frie­den und Sta­bi­li­tät«, bekräf­tig­te Papst Fran­zis­kus in Naga­sa­ki. Frie­den kön­ne »nicht auf die Angst vor gegen­sei­ti­ger Zer­stö­rung auf­ge­baut wer­den«. Die Welt lebe in dem »per­ver­sen Zwie­spalt, Sta­bi­li­tät und Frie­den auf der Basis einer fal­schen, von einer Logik der Angst und des Miss­trau­ens gestütz­ten Sicher­heit ver­tei­di­gen und sichern zu wol­len. Am Ende ver­gif­tet er die Bezie­hun­gen zwi­schen den Völ­kern und ver­hin­dert jeden mög­li­chen Dialog.«

Eben­so scharf kri­ti­sier­te Papst Fran­zis­kus das glo­ba­le Wett­rü­sten. Die­ses ver­geu­de »wert­vol­le Res­sour­cen, die doch zugun­sten der ganz­heit­li­chen Ent­wick­lung der Völ­ker und des Umwelt­schut­zes ver­wen­det wer­den könn­ten«. Und wei­ter: »In der Welt von heu­te, wo Mil­lio­nen von Kin­dern und Fami­li­en unter men­schen­un­wür­di­gen Bedin­gun­gen leben, ist es ein him­mel­schrei­en­der Anschlag, wenn für die Her­stel­lung, die Moder­ni­sie­rung, den Erhalt und den Ver­kauf von Waf­fen mit immer stär­ke­rer Zer­stö­rungs­kraft Gel­der aus­ge­ge­ben und damit Ver­mö­gen erzielt werden.«

Um das Ide­al einer »Welt in Frie­den und frei von Atom­waf­fen« Wirk­lich­keit wer­den zu las­sen, sei die Betei­li­gung aller not­wen­dig, so der Papst: »Ein­zel­ne, Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, die Zivil­ge­sell­schaft, die Staa­ten im Besitz von Atom­waf­fen und atom­waf­fen­freie Staa­ten, pri­va­te und mili­tä­ri­sche Berei­che sowie die inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­tio­nen. Unse­re Ant­wort auf die Bedro­hung durch Nukle­ar­waf­fen muss gemein­sam und kon­zer­tiert sein und auf dem müh­sa­men, aber bestän­di­gen Auf­bau gegen­sei­ti­gen Ver­trau­ens beru­hen, das die Dyna­mik des gegen­wär­tig vor­herr­schen­den Miss­trau­ens durchbricht.«

Fran­zis­kus beklag­te die der­zei­ti­ge »Ero­si­on des Mul­ti­la­te­ra­lis­mus« und for­der­te neue Anstren­gun­gen für Abrü­stung: »Ich bit­te die poli­ti­schen Ver­ant­wor­tungs­trä­ger, nicht zu ver­ges­sen, dass Nukle­ar­waf­fen uns nicht vor den Bedro­hun­gen für die natio­na­le und inter­na­tio­na­le Sicher­heit in unse­rer Zeit schüt­zen.« Kon­kret erin­ner­te der Papst an sei­nen Amts­vor­gän­ger Paul VI., der schon im Jahr 1964 vor­ge­schla­gen habe, »den not­lei­den­den Völ­kern durch einen Welt­fonds zu hel­fen, der zum Teil aus den Aus­ga­ben für Rüstungs­zwecke gespeist wird«. Tat­säch­lich haben allein die USA für die Moder­ni­sie­rung und Auf­stockung ihres Atom­waf­fen­ar­se­nals in den kom­men­den Jah­ren 1000 Mil­li­ar­den US-Dol­lar ein­ge­plant. Auf 1000 Mil­li­ar­den US-Dol­lar belau­fen sich mitt­ler­wei­le auch die Aus­ga­ben der NATO-Mit­glie­der für Mili­tär und Auf­rü­stung. Jahr für Jahr.

Auch der deut­sche Außen­mi­ni­ster Hei­ko Maas will Atom­waf­fen abschaf­fen – irgend­wann ein­mal. Wie Fran­zis­kus in Naga­sa­ki warb der saar­län­di­sche Katho­lik und Mess­die­ner a. D. bei sei­nem Besuch in Hiro­shi­ma am 22. Novem­ber für eine atom­waf­fen­freie Welt – um im glei­chen Atem­zug aller­dings zu bekun­den, die in Deutsch­land gela­ger­ten US-Atom­bom­ben behal­ten zu wol­len. Maas geht damit auf Distanz zum frü­he­ren deut­schen Außen­mi­ni­ster Gui­do Wester­wel­le (FDP), der sich für den Abzug der im rhein­land-pfäl­zi­schen Büchel gela­ger­ten Mas­sen­mord­waf­fen enga­giert hat­te, wie auch zu Mar­tin Schulz, der als SPD-Kanz­ler­kan­di­dat im Bun­des­tags­wahl­kampf 2017 den Abzug der US-Atom­bom­ben forderte.

Die Abrü­stungs­lo­gik von Mini­ster Maas geht so: »Es nützt nichts, wenn Atom­waf­fen von einem Land in das ande­re ver­scho­ben wer­den. Wenn sie ver­schwin­den sol­len, dann sol­len sie über­all ver­schwin­den. Wir brau­chen, was die ato­ma­re Abrü­stung angeht, vor allen Din­gen Ver­ein­ba­run­gen auf brei­ter Basis, nicht nur in ein­zel­nen Ländern.«

Es bleibt abzu­war­ten, wie sich die neu­en SPD-Vor­sit­zen­den, Saskia Esken und Nor­bert Wal­ter-Bor­jans, in der Fra­ge posi­tio­nie­ren; ob sie ihre Par­tei reso­zi­al­de­mo­kra­ti­sie­ren und zurück an die Sei­te der Frie­dens­be­we­gung füh­ren oder sie mit Hei­ko Maas wei­ter auf der Atlan­tik­brücke mit den sich »christ­lich« nen­nen­den Koali­ti­ons­par­tei­en stramm­ste­hen las­sen wol­len. Druck von unten braucht es alle­mal, um den Wor­ten des Kir­chen­obe­ren Taten fol­gen zu las­sen – und Soli­da­ri­tät mit den #KBP7.