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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Doppelmoral des Heiko Maas

Wer­te­ba­siert soll sie sein, die deut­sche Außen­po­li­tik. Mini­ster Hei­ko Maas wird nicht müde, die­ses Man­tra zu wie­der­ho­len. In der Regie­rungs­be­fra­gung am 7. Okto­ber hat sich der SPD-Poli­ti­ker aus­führ­lich zum Fall Ale­xej Nawal­ny ein­ge­las­sen und in Rich­tung Russ­land gedroht: »Klar ist, dass dann, wenn die Vor­gän­ge nicht auf­ge­klärt und die dafür not­wen­di­gen Infor­ma­tio­nen nicht zur Ver­fü­gung gestellt wer­den, ziel­ge­rich­te­te und ver­hält­nis­mä­ßi­ge Sank­tio­nen gegen Ver­ant­wort­li­che auf rus­si­scher Sei­te unver­meid­lich sein wer­den. Russ­land täte gut dar­an, es nicht so weit kom­men zu lassen.«

Es blieb den Lin­ke-Abge­ord­ne­ten Hei­ke Hän­sel und Sevim Dağ­de­len über­las­sen, den toten Win­kel der »wer­te­ba­sier­ten Außen­po­li­tik« zum The­ma zu machen und im Ple­num des Par­la­ments ein­mal mehr auf das Schick­sal des in bri­ti­scher Iso­la­ti­ons­haft ein­sit­zen­den Jour­na­li­sten Juli­an Assan­ge auf­merk­sam zu machen. Die abso­lu­te Igno­ranz der Bun­des­re­gie­rung in Per­son des Hei­ko Maas bezüg­lich des Dis­si­den­ten des Westens doku­men­tiert ein­drück­lich das Ple­nar­pro­to­koll 19/​182 vom 7. Okto­ber 2020 (Sei­ten 22839-22840), das an die­ser Stel­le des­halb aus­zugs­wei­se in Erin­ne­rung zu rufen ist:

»Hei­ke Hän­sel (Die Lin­ke): Herr Außen­mi­ni­ster, Sie haben den Fall Nawal­ny heu­te als eigent­lich ein­zi­ges The­ma pro­mi­nent im außen­po­li­ti­schen Bericht genannt. Gesund­heit­lich gese­hen gibt es einen ande­ren sehr pre­kä­ren Fall. Es geht um den inter­na­tio­nal bekann­ten Jour­na­li­sten Juli­an Assan­ge, der sich unter ganz schwie­ri­gen gesund­heit­li­chen Bedin­gun­gen in Aus­lie­fe­rungs­haft, die ja eigent­lich zum Groß­teil nicht im Gefäng­nis ver­bracht wer­den muss, im Hoch­si­cher­heits­ge­fäng­nis Bel­marsh befin­det, in dem Schwer­ver­bre­cher und Ter­ro­ri­sten ein­sit­zen. Der UN-Bericht­erstat­ter für Fol­ter, Nils Mel­zer, des­sen Berich­te dem Aus­wär­ti­gen Amt ja vor­lie­gen, spricht davon, dass er ganz typi­sche Anzei­chen von psy­chi­scher Fol­ter auf­weist. Sind Sie und die Bun­des­re­gie­rung der Mei­nung, dass die­se Behand­lung von Juli­an Assan­ge gegen die UN-Anti­fol­ter­kon­ven­ti­on verstößt?

Hei­ko Maas, Bun­des­mi­ni­ster des Aus­wär­ti­gen: Wir ver­fol­gen die­sen Fall natür­lich schon seit Lan­gem. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, dass uns Infor­ma­tio­nen vor­lie­gen, aus denen her­vor­geht, dass es sich um Ver­stö­ße gegen inter­na­tio­na­les Recht sowohl bei der Unter­brin­gung als auch bei der Behand­lung von Juli­an Assan­ge handelt.

Hei­ke Hän­sel (Die Lin­ke): Ich möch­te Sie aber noch mal dar­an erin­nern, Herr Außen­mi­ni­ster, dass das Aus­wär­ti­ge Amt sel­ber bestä­tigt hat, dass Ihnen die Berich­te des UN-Son­der­be­auf­trag­ten zum The­ma Fol­ter, Nils Mel­zer, vor­lie­gen. Genau in die­sen Berich­ten wird beklagt, dass die Behand­lung von Juli­an Assan­ge gegen die Anti­fol­ter­kon­ven­ti­on ver­stößt. Mei­ne Fra­ge: Tei­len Sie die Ein­schät­zung, dass Juli­an Assan­ge auch aus huma­ni­tä­ren Grün­den end­lich aus der Haft ent­las­sen wer­den muss, und wür­den Sie sich so einer For­de­rung anschlie­ßen und viel­leicht auch ein Ange­bot machen, dass er hier in der Cha­ri­té behan­delt wird?

Hei­ko Maas, Bun­des­mi­ni­ster des Aus­wär­ti­gen: Nein, weder das eine noch das ande­re. Ich bin der Auf­fas­sung, dass Herr Assan­ge ein rechts­staat­lich ein­wand­frei­es Ver­fah­ren ver­dient hat, und das ist auch die Hal­tung der Bun­des­re­gie­rung. Auch an der wird sich nichts ändern. (Bei­fall bei Abge­ord­ne­ten der SPD)

Sevim Dağ­de­len (Die Lin­ke): Mei­ne Fra­ge ist erstens, inwie­weit Sie als Bun­des­re­gie­rung hier auf Groß­bri­tan­ni­en ein­wir­ken, um die­ses rechts­staat­li­che Ver­fah­ren tat­säch­lich sicher­zu­stel­len. Und zwei­tens: Inwie­fern sieht die Bun­des­re­gie­rung in die­sem Aus­lie­fe­rungs­ver­fah­ren gegen einen Jour­na­li­sten, dem vor­ge­wor­fen wird, Kriegs­ver­bre­chen der US-Ame­ri­ka­ner in Afgha­ni­stan und im Irak ver­öf­fent­licht zu haben – so wie die »Times«, »Guar­di­an«, »Le Mon­de« und der »Spie­gel« das getan haben –, letzt­end­lich einen Angriff auf den inve­sti­ga­ti­ven Jour­na­lis­mus? Und inwie­weit sehen Sie in die­sem Angriff auf den Jour­na­lis­mus auch eine Bedro­hung für alle Men­schen? Denn wenn es eine Aus­lie­fe­rung gemäß dem Espio­na­ge Act von 1917 gibt, auf des­sen Grund­la­ge die­ses Ver­fah­ren statt­fin­det, kann es jeden welt­weit tref­fen, aus­ge­lie­fert zu wer­den, ohne dass man jemals in den USA war. Sieht die Bun­des­re­gie­rung eine Gefahr, dass mit die­ser Aus­lie­fe­rung ein Prä­ze­denz­fall geschaf­fen wird?

Hei­ko Maas, Bun­des­mi­ni­ster des Aus­wär­ti­gen: Das sehen wir nicht. Wir gehen davon aus, dass das natio­na­le Recht, das es in unse­ren Part­ner­län­dern gibt, ein Recht ist, das auf demo­kra­ti­sche Wei­se in den dor­ti­gen Par­la­men­ten zustan­de gekom­men ist. Grund­sätz­lich gehen wir davon aus – das ist auch der Gegen­stand von Gesprä­chen, die wir mit unse­ren bri­ti­schen Part­nern füh­ren –, dass das Ver­fah­ren natür­lich auch mit Blick auf inter­na­tio­na­le Ver­pflich­tun­gen abläuft. Ich kann Ihnen nicht bestä­ti­gen – zumin­dest nicht in der Dra­ma­tik, wie Sie das geschil­dert haben –, dass die­ser Fall der­ar­ti­ge Aus­wir­kun­gen hat. Natür­lich spie­len die The­men »Pres­se­frei­heit« und »Mei­nungs­frei­heit« eine ganz beson­de­re Rol­le. Es ist auch wich­tig, dass die Län­der, in denen einer­seits ent­spre­chen­de Ver­fah­ren gegen Ein­zel­ne geführt wer­den und die sich ande­rer­seits bei ande­ren Län­dern für die Ein­hal­tung der Pres­se­frei­heit aus­spre­chen, die­se Punk­te immer berück­sich­ti­gen. Aber ich habe kei­nen Grund, ins­be­son­de­re unse­ren bri­ti­schen Part­nern in die­sem Fall Ver­sa­gen oder was auch immer vorzuwerfen.

Sevim Dağ­de­len (Die Lin­ke): Ich fin­de es bedau­er­lich, dass Sie die­se Dra­ma­tik nicht sehen.

Hei­ko Maas, Bun­des­mi­ni­ster des Aus­wär­ti­gen: Das ist ja mei­stens so.

Sevim Dağ­de­len (Die Lin­ke): Viel­leicht könn­te die Bun­des­re­gie­rung sich dann inten­si­ver damit befas­sen, so wie es über 150 Pro­mi­nen­te gemacht haben. Die­se Pro­mi­nen­ten aus Poli­tik, Kunst, Lite­ra­tur sowie vie­le ehe­ma­li­ge Bun­des­mi­ni­ster – bei­spiels­wei­se der Justiz, des Aus­wär­ti­gen oder des Innern – sagen: Die­se Aus­lie­fe­rung muss ver­hin­dert wer­den! Viel­leicht könn­ten Sie uns zumin­dest die Zusa­ge geben, dass man sich mit die­sem Fall etwas inten­si­ver im Aus­wär­ti­gen Amt beschäf­tigt, so wie es vie­le in den Medi­en, aber auch in der Lite­ra­tur tun, damit es nicht noch ande­re Fäl­le nach sich zieht.

Hei­ko Maas, Bun­des­mi­ni­ster des Aus­wär­ti­gen: Wir kön­nen uns ger­ne wei­ter­hin damit beschäf­ti­gen. Ich kann Ihnen aber sagen: Ich gehö­re nicht zu den­je­ni­gen, die sich öffent­lich ent­spre­chend zu Wort gemel­det haben, und ich wer­de auch in Zukunft nicht zu den­je­ni­gen gehören.«

Die frü­he­re Lin­ke-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de Sahra Wagen­knecht skan­da­li­sier­te tags dar­auf in der ZDF-Sen­dung »Mar­kus Lanz« mit Ver­ve die Dop­pel­mo­ral der deut­schen Außen­po­li­tik. »Alex­ei Nawal­ny und Juli­an Assan­ge haben etwas gemein­sam«, so Wagen­knecht, »sie haben Ver­bre­chen auf­ge­deckt und Kor­rup­ti­on bekämpft. Die Unter­schie­de: Nawal­ny kämpft gegen Putin und gegen Kor­rup­ti­on in Russ­land, Assan­ge hat sich mit der Auf­deckung schwer­ster Kriegs­ver­bre­chen die USA zum Feind gemacht.« Über die Ver­gif­tung Nawal­nys wer­de breit berich­tet, selbst die Kanz­le­rin habe ihn am Kran­ken­bett besucht, und – ohne dass die Urhe­ber­schaft des Gift­an­schlags zwei­fels­frei geklärt wäre – wür­den Sank­tio­nen gegen Russ­land gefor­dert und der Bau der Gas-Pipe­line Nord Stream 2 in Fra­ge gestellt. Den Kriegs­ver­bre­chen der USA und ande­rer Ver­bün­de­ter, etwa mit heim­tücki­schen Droh­nen­mor­den, begeg­ne die Bun­des­re­gie­rung dage­gen mit »pein­li­chem Schwei­gen«. Für die Bun­des­re­gie­rung, kon­sta­tiert Wagen­knecht, sei­en skan­da­lö­se Haft­be­din­gun­gen, ein unfai­rer Pro­zess, die Aus­sicht auf Aus­lie­fe­rung und lebens­lan­ge Haft bis hin zur Todes­stra­fe in den USA kein Grund, die Stim­me zu erhe­ben, Assan­ge einen Besuch abzu­stat­ten, ihm poli­ti­sches Asyl anzu­bie­ten – von der For­de­rung nach Sank­tio­nen gar nicht zu reden. »Die­se Dop­pel­mo­ral ist erbärm­lich. Es geht um mehr als nur um das Schick­sal von Juli­an Assan­ge. Alle, denen die Pres­se­frei­heit am Her­zen liegt, alle, denen Men­schen­rech­te, Frie­den, Demo­kra­tie und Rechts­staat­lich­keit wich­tig sind – sie alle sind jetzt gefragt, die Stim­me zu erhe­ben und die Frei­las­sung von Juli­an Assan­ge zu for­dern!« (Aus­schnitt »Mar­kus Lanz«: https://www.facebook.com/sahra.wagenknecht/videos/vb.206307219386683/2775066762706374/?type=2&theater)