Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Quod licet Trump, non licet Putin

Im Ori­gi­nal heißt das Zitat: Quod licet Iovi, non licet bovi. Was Jupi­ter erlaubt ist, darf der Ochs kei­nes­wegs. Im über­tra­ge­nen Sin­ne: Was Trump nach­ge­se­hen wird, darf sich Putin nicht erlau­ben. Natür­lich hinkt der Ver­gleich. Der ame­ri­ka­ni­sche Prä­si­dent hat die Tötung des ira­ni­schen Gene­rals Sol­ei­ma­ni durch eine fern­ge­steu­er­te Kampf­droh­ne nach ein­deu­ti­ger Beweis­la­ge selbst befoh­len und ist damit recht­lich voll ver­ant­wort­lich, wäh­rend der rus­si­sche Prä­si­dent Putin für den Gift­an­schlag auf sei­nen Kri­ti­ker Nawal­ny nur poli­tisch ver­ant­wort­lich gemacht wird.

Aber dar­um geht es hier nicht. Es ist die Ver­lo­gen­heit bei der öffent­li­chen Beur­tei­lung bei­der Vor­gän­ge, die einem, auch mit Blick auf den Mord an dem Jour­na­li­sten Khash­og­gi durch ein Kil­ler­kom­man­do des sau­di-ara­bi­schen Herr­scher­hau­ses, den Atem ver­schlägt. Das bei­spiel­los scheuß­li­che Ver­bre­chen blieb wie der Mord an Sol­ei­ma­ni ohne jenes lär­men­de Echo, das wir im Fall Nawal­ny erle­ben. Dass aus­ge­rech­net Hei­ko Maas, der von sich sagt, er sei wegen Ausch­witz in die Poli­tik gegan­gen, die Pro­pa­gan­dat­rom­mel am lau­te­sten schlägt und der Dop­pel­mo­ral so zu einem gewis­sen Rang ver­hilft, ver­ste­he wer mag. Ein deut­scher Außen­mi­ni­ster soll­te schließ­lich im Hin­ter­kopf haben, was Deut­sche dem rus­si­schen Volk im Zwei­ten Welt­krieg ange­tan haben. Haupt­säch­lich auf sein Betrei­ben hin hat die Euro­päi­sche Uni­on Sank­tio­nen gegen Russ­land beschlos­sen. Die Ein­rei­se­sper­ren gegen eini­ge Per­so­nen sind dabei nicht das Wich­tig­ste. Vor­ran­gi­ges Ziel ist die mora­li­sche Beschä­di­gung des Anse­hens der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on im glo­ba­len Machtpoker.

Begrün­det hat Maas gemein­sam mit sei­nem fran­zö­si­schen Amts­kol­le­gen Le Dri­an die Sank­tio­nen mit der Behaup­tung, Russ­land habe bis­lang nicht glaub­haft auf den grau­sa­men Mord­ver­such an Nawal­ny reagiert. Mit Ver­laub: Wer ent­schei­det dar­über, ob eine Reak­ti­on glaub­haft ist oder nicht? Der deut­sche Außen­mi­ni­ster? Die rus­si­sche Ant­wort auf die Anma­ßung ließ nicht auf sich war­ten. Außen­mi­ni­ster Law­row hielt den deut­schen Behör­den vor, ent­ge­gen inter­na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten immer noch kei­ne Bewei­se für eine Ver­gif­tung Nawal­nys vor­ge­legt zu haben. Und an die Adres­se der EU gerich­tet sag­te er, die für die Außen­po­li­tik zustän­di­gen Amts­trä­ger ver­stün­den nicht die Not­wen­dig­keit eines von gegen­sei­ti­ger Wert­schät­zung gepräg­ten Gesprächs. »Viel­leicht soll­ten wir für eine Zeit ein­fach auf­hö­ren, mit ihnen zu sprechen.«

Ob die Damen und Her­ren in Brüs­sel ver­stan­den haben, was Law­row damit sagen woll­te? Haben die Außen­mi­ni­ster Deutsch­lands und Frank­reichs sich nicht über­ho­ben, als sie behaup­te­ten, es gebe »kei­ne ande­re plau­si­ble Erklä­rung für die Ver­gif­tung von Herrn Nawal­ny als eine rus­si­sche Betei­li­gung und Ver­ant­wor­tung«? Man stel­le sich vor, jemand hät­te Deutsch­land vor­ge­wor­fen, für die Mord­se­rie des Natio­nal­so­zia­li­sti­schen Unter­grunds in der Zeit zwi­schen 2000 und 2007 gebe es kei­ne ande­re plau­si­ble Erklä­rung, als eine deut­sche Betei­li­gung und Ver­ant­wor­tung. Vor Gericht wäre damit nie­mand weit gekommen.

Im Fall Khash­og­gi hat sich die EU nicht auf Ein­rei­se­sper­ren gegen 18 sau­di­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge ver­stän­di­gen kön­nen. Auch der Mord an der mal­te­si­schen Jour­na­li­stin Gali­zia blieb ohne gemein­sa­me Reak­ti­on. Prä­si­dent Jun­cker und die EU-Kom­mis­si­on ver­ur­teil­ten den Anschlag zwar, wie es hieß, mit den »schärfst­mög­li­chen Wor­ten«, anson­sten blieb das Ver­bre­chen für das EU-Mit­glied Mal­ta auch drei Jah­re danach ohne Folgen.

Wel­che Maß­stä­be die Euro­päi­sche Uni­on gegen­über ihrem Schoß­kind Ukrai­ne anle­gen wird, wo laut Süd­deut­scher Zei­tung vom 16. Okto­ber seit der Unab­hän­gig­keit im Jahr 1991 weit über 50 Jour­na­li­sten ermor­det wur­den, bleibt abzu­war­ten. Die EU hat der Ukrai­ne nach offi­zi­el­len Anga­ben seit 2014 mit 3,3 Mil­li­ar­den Euro unter die Arme gegrif­fen. »Kein ande­res nicht der EU ange­hö­ren­des Land erhielt eine der­art hohe Finanz­hil­fe«, rühm­te sich die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on am 30. Novem­ber 2018. Haben die euro­päi­schen Kämp­fer für Rechts­staat­lich­keit und Men­schen­wür­de von der Regie­rung in Kiew schon eine plau­si­ble Erklä­rung für die Mor­de an 50 Jour­na­li­sten ein­ge­for­dert? Oder hal­ten sie es auch in dem Fall lie­ber mit dem »Quod licet Iovi, non licet bovi«?