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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die gütigen Sanktionierer

Wer hat schon gern in sei­nem Hin­ter­hof Bewoh­ner, die sich nicht an die Haus­ord­nung hal­ten? Nie­mand, auch nicht die USA. Schließ­lich ist Süd­ame­ri­ka seit fast zwei Jahr­hun­der­ten, genau­er seit 1823, der »Hin­ter­hof der USA«. Damals ver­kün­de­te der US-Prä­si­dent James Mon­roe den Anspruch auf die Hege­mo­nie der USA auf dem gesam­ten ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent. Einer sei­ner Nach­fol­ger, Prä­si­dent Theo­do­re Roo­se­velt, prä­zi­sier­te 1904 mit Blick auf Latein­ame­ri­ka die Mon­roe-Dok­trin ganz offi­zi­ell um ein Inter­ven­ti­ons­ge­bot. Wört­lich erklär­te er am 6. Dezem­ber 1904 in sei­ner Jah­res­bot­schaft an den Kon­gress: »Fort­ge­setz­tes Unrecht kann in Ame­ri­ka oder anders­wo schließ­lich das Ein­grei­fen einer zivi­li­sier­ten Nati­on erfor­dern, und in der west­li­chen Hemi­sphä­re wer­den die Ver­ei­nig­ten Staa­ten, da sie auf dem Boden der Mon­roe-Dok­trin ste­hen, dazu gezwun­gen sein, in Fäl­len, in denen eine Regie­rung sol­ches offen­sicht­li­che Unrecht begeht oder nicht imstan­de ist, es abzu­stel­len, die Rol­le einer inter­na­tio­na­len Poli­zei – wenn auch noch so wider­stre­bend – zu spie­len.« Erfolg­reich, wenn auch »wider­stre­bend« erfüll­ten die USA die­se Rol­le mit offe­nen Mili­tär­in­ter­ven­tio­nen oder Unter­stüt­zung rech­ter Put­schi­sten nach 1945 in Kolum­bi­en, Para­gu­ay, Kuba, Bra­si­li­en, der Domi­ni­ka­ni­schen Repu­blik, Uru­gu­ay, Chi­le, Argen­ti­ni­en, El Sal­va­dor, Nica­ra­gua, Peru, Vene­zue­la, Boli­vi­en, Honduras.

Unge­ach­tet die­ser abschrecken­den Ereig­nis­se erdrei­ste­te sich Hugo Rafa­el Chá­vez Frí­as, nach­dem er am 6. Dezem­ber 1998 zum Prä­si­den­ten Vene­zue­las gewählt wor­den war, die Boli­va­ri­sche Revo­lu­ti­on aus­zu­ru­fen. Das Land bekam eine neue Ver­fas­sung, die Erd­öl­fir­ma Petró­le­os de Vene­zue­la (PDVSA) wur­de unter staat­li­che Kon­trol­le gestellt, zahl­rei­che Unter­neh­men wur­den ver­staat­licht, Sozi­al­pro­gram­me ver­kün­det und ver­wirk­licht, Län­de­rei­en umver­teilt und Koope­ra­ti­ven gegrün­det, Sozi­al­pro­gram­me lin­der­ten die Not der Armen. Kurz vor sei­nem Tod, Chá­vez ver­starb am 5. März 2013, hat­te er ein­ge­schätzt, dass Vene­zue­la noch immer ein kapi­ta­li­sti­sches Land sei. Not­wen­dig sei es, den Auf­bau des Sozia­lis­mus so vor­an­zu­trei­ben, dass ein Rück­fall nicht mehr mög­lich sei.

Es ist nur all­zu ver­ständ­lich, dass in Washing­ton die Anhän­ger der Mon­roe-Dok­trin die Ent­wick­lung in Vene­zue­la nicht nur arg­wöh­nisch, son­dern vol­ler Hass ver­folg­ten. Ent­ge­gen­kam ihnen, dass der von Chá­vez gefor­der­te Auf­bau des Sozia­lis­mus unter sei­nem Nach­fol­ger Nicolás Madu­ro nicht vor­an­kam. Im Gegen­teil, die Wirt­schaft wur­de wei­ter­hin nicht diver­si­fi­ziert, die Abhän­gig­keit vom Erd­öl­ex­port und damit von den Welt­markt­prei­sen setz­te sich fort. Die Land­wirt­schaft blieb unter­ent­wickelt. Die Abhän­gig­keit von Lebens­mit­tel­im­por­ten wuchs. Eine Hyper­in­fla­ti­on erschüt­tert das Land.

Das war der Zeit­punkt, an dem die USA-Admi­ni­stra­ti­on zum Gene­ral­an­griff blies und mit Juan Guai­dó einen rhe­to­risch begab­ten Erfül­lungs­ge­hil­fen ins Ren­nen schick­te, der sich als­bald selbst zum Inte­rims­prä­si­den­ten aus­rief. Dabei hat­te Washing­ton mit rela­tiv klei­nen Sank­ti­ons­schrit­ten ange­fan­gen. Noch unter dem Frie­dens­no­bel­preis­trä­ger Oba­ma wur­den die ersten Sank­tio­nen ver­hängt. Mit dem Prä­si­di­al­de­kret 13692 erklär­te die­ser Vene­zue­la im März 2015 zur »außer­ge­wöhn­li­chen Bedro­hung für die natio­na­le Sicher­heit und Außen­po­li­tik der Ver­ei­nig­ten Staa­ten«. Die Bedro­hung war offen­sicht­lich so groß, dass unter Trump eine Sank­ti­on die ande­re jag­te. Sie reich­ten vom Ein­frie­ren des Ver­mö­gens hoher Staats­funk­tio­nä­re bis zum strik­ten Ver­bot des Han­dels mit Staats­an­lei­hen Venezuelas.

Alle US- und die nicht aus­ge­blie­be­nen EU-Sank­tio­nen ver­fol­gen das Ziel, der Wirt­schaft und damit den Bür­gern Vene­zue­las einen mög­lichst gro­ßen Scha­den zuzu­fü­gen. Ihren Höhe­punkt erreich­ten sie, als der US-Prä­si­dent ver­füg­te, dass wei­ter­hin Erd­öl aus Vene­zue­la impor­tiert wer­den kann, die Bezah­lung jedoch aus­schließ­lich auf Sperr­kon­ten erfol­gen dür­fe. Bereits Ende Janu­ar hat­te die US-Regie­rung die Kon­ten der Staat­li­chen Erd­öl­fir­ma PDVSA im Wert von sie­ben Mil­li­ar­den US-Dol­lar gesperrt. Zugang zu die­sem wie zu allen Sperr­kon­ten soll künf­tig aus­schließ­lich der selbst­er­nann­te Inte­rims­prä­si­dent und Oppo­si­ti­ons­füh­rer von Washing­tons Gna­den, Guai­dó, erhal­ten. Eine der­ar­tig räu­be­ri­sche Ein­mi­schung in die inne­ren Ange­le­gen­hei­ten eines ande­ren Staa­tes hat es, abge­se­hen von Krie­gen, bis­her nicht gege­ben. Aber was soll’s? Schließ­lich geht es um die Frei­heit und die Wah­rung der Men­schen­rech­te in Vene­zue­la. Und weil Washing­ton aus­schließ­lich die­ses edle Ziel ver­folgt, hat Trump im Febru­ar zehn Last­wa­gen mit Lebens­mit­teln, Medi­ka­men­ten, Hygie­ne­ar­ti­keln (und wer weiß was noch) an die kolum­bia­nisch-vene­zo­la­ni­sche Gren­ze ent­sandt. In sei­ner Güte hat er sich wohl gesagt, wenn ich dem vene­zo­la­ni­schen Volk schon vie­le Mil­li­ar­den Dol­lar vor­ent­hal­te, dann will ich ihm wenig­stens ein paar »Hilfs­gü­ter« schenken.

Doch das »Geschenk« war nicht will­kom­men. Auf Wei­sung der Regie­rung in Cara­cas wur­den die Last­wa­gen bekannt­lich an der Gren­ze gestoppt. In ihrem berech­tig­ten Zorn ließ die US-Regie­rung mit­tels einer »elek­tri­schen Sabo­ta­ge«, so Prä­si­dent Madu­ro, das vene­zo­la­ni­sche Strom­netz zusam­men­bre­chen, wodurch das Land über meh­re­re Tage mit kata­stro­pha­len Fol­gen ohne Strom blieb. Die Regie­rung von Madu­ro hat­te in der »Hilfs­lie­fe­rung« kei­ne huma­ne Geste, son­dern ein poli­ti­sches Dana­er­ge­schenk gese­hen. Außer­dem befürch­te­te sie, dass mit den US-»Hilfslieferungen« auch Waf­fen für die Oppo­si­ti­on geschmug­gelt wer­den könn­ten. Das wäre nichts Neu­es. Bereits 1986 hat­ten die USA mit »Hilfs­lie­fe­run­gen« Waf­fen für die Todes­schwa­dro­nen der Con­tras nach Nica­ra­gua gebracht. Elliott Abrams war es, der damals die ver­steck­ten Waf­fen­lie­fe­run­gen anord­ne­te. Heut­zu­ta­ge ist er, was für ein Zufall, der US-Son­der­be­auf­trag­te für Vene­zue­la. Aber wer ein­mal lügt und täuscht, dem glaubt man nicht. Oder doch? Wie­der­holt hat Abrams auf Fra­gen von Jour­na­li­sten, ob eine mili­tä­ri­sche Inter­ven­ti­on der USA in Vene­zue­la geplant sei, erklärt: »Alle Optio­nen lie­gen auf dem Tisch.« Da er hier sei­nen Prä­si­den­ten zitiert, lügt er wohl nicht. Beru­hi­gend ist das keinesfalls.