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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Krolls Selbstbehauptung

Im stän­di­gen Rin­gen, die Kern­ener­gie wahr­haf­tig zu bewer­ten, war das Leben des Inge­nieurs für Elek­tro­en­er­gie Peter Kroll (81) als Reak­tor­ope­ra­teur, Schicht­lei­ter und Abtei­lungs­lei­ter von 1961 an mit den Kern­kraft­wer­ken in Rheins­berg und in Greifs­wald (Lub­min) eng ver­bun­den. In einem müh­sa­men an Sisy­phos erin­nern­den Pro­zess brach­te er 2018 im Selbst­ver­lag das Buch bezie­hungs­wei­se den Aus­stel­lungs­ka­ta­log »Kunst und Kern­ener­gie« mit 168 Sei­ten als Bilanz und Resul­tat her­vor. Die im Unter­ti­tel als »Bei­trag zur Kul­tur­ge­schich­te der Kern­ener­gie« benann­te Samm­lung rings um die Kern­ener­gie lässt kei­nen Bereich aus und umfasst Fotos, Bild­re­pro­duk­tio­nen, Kari­ka­tu­ren, lite­ra­ri­sche Bei­spie­le, poli­ti­sche Tex­te aus Zei­tun­gen und dazwi­schen knapp for­mu­lier­te Fach­tex­te mit per­sön­li­chem Zuschnitt und indi­vi­du­el­ler Beto­nung. Alle Ele­men­te sind meist stich­wort- und sprung­haft asso­zia­ti­ons­reich mit­ein­an­der ver­wo­ben. Im Kapi­tel zur welt­wei­ten »Anti-Atom­be­we­gung« hat sich Kroll dazu hin­ge­ar­bei­tet, die Kern­ener­gie immer mehr pro­ble­ma­tisch zu sehen. Es for­dert Respekt her­aus, wie Peter Kroll über sein Leben an und in den Atom­kraft­wer­ken, an der Sei­te sei­nes Zwil­lings­bru­ders Paul – Kern­kraft­wer­ker wie er – und des Gra­fi­kers Armin Münch, Rechen­schaft gibt.

Das Buch ist geschichts­durch­drun­gen, zeigt das Reli­ef »Berg­mann und Pech­blen­de« aus Jáchy­mov (Joa­chims­thal), erin­nert dabei an das Wir­ken von Para­cel­sus und Agri­co­la und die Lei­stung von Marie Curie und Otto Hahn, Man­fred von Arden­ne, wür­digt die tech­ni­sche, tech­no­lo­gi­sche und orga­ni­sa­to­ri­sche Lei­stung, die mit sowje­ti­scher Unter­stüt­zung in der DDR voll­bracht wur­de, und schließ­lich das Sanie­rungs­ob­jekt Wis­mut (1990–2007). Das Buch wei­tet den oft auf Kern­kraft­wer­ke redu­zier­ten Blick auf die Kern­ener­gie, weist hin auf nutz­brin­gen­de radio­ak­ti­ve Iso­to­pe für die Medi­zin, die C-14-Metho­de in der Archäo­lo­gie und das für künf­ti­ge Ener­gie­nut­zung ange­leg­te Fusi­ons­expe­ri­ment »Wen­del­stein 7x« in Greifs­wald, Mün­chen-Gar­ching und Marseille.

Kroll unter­wirft alles einer dia­lek­tisch-mate­ria­li­sti­schen Betrach­tung und stellt dem Foto von der ersten sowje­ti­schen Atom­bom­be (1949) das Mot­to aus Nowo-Woro­nesh (1977) »Möge das Atom immer Arbei­ter sein, nie­mals Sol­dat« ent­ge­gen. Die­ses hat nicht nur die Sowjet­po­li­tik bestimmt, son­dern kann auch als sein Lebens­mot­to gelten.

Weil durch die DDR mit dem Uran­erz der Wis­mut die Sowjet­uni­on das USA-Atom­bom­ben-Mono­pol durch­brach und die fried­li­che Kern­ener­gie­nut­zung Ein­zug hielt, ent­stan­den wich­ti­ge Wer­ke der Lite­ra­tur (Wer­ner Bräu­nig, Mar­tin Vier­tel, Chri­sta Wolf), der Archi­tek­tur – das Ver­wal­tungs­ge­bäu­de vom KKW Rheins­berg wur­de 2005 unter Denk­mals­schutz gestellt – bis hin zur Gestal­tung von Medail­len und des Zehn­mark­scheins. Im Blick­punkt steht die bil­den­de Kunst, neben Hans Grun­dig, Wolf­gang Fran­ken­stein, Gabrie­le Muc­chi und Wolf­gang Mattheu­er fin­den die Monu­men­tal­bil­der »Die fried­li­che Nut­zung der Atom­ener­gie« von José Ren­au mit einer frü­hen Ver­si­on eines Kern­fu­si­ons-Kraft­werks und von Wer­ner Pet­zold mit uran­schür­fen­den Berg­leu­ten beson­de­re Aufmerksamkeit.

»Das gute Gesicht des Atoms« präg­te mit dem ersten Atom­kraft­werk der Welt Igor W. Kur­tscha­tow (1903–1960), der von Armin Münch zu einem »Faust XX« (1984) gestei­gert wur­de. Er leg­te den Grund­stein zur ato­ma­ren Macht der Sowjet­uni­on und stütz­te sich als Faust des 20. Jahr­hun­derts auf die Stär­ke kol­lek­ti­ver Erfah­rung. In der Bild­map­pe KKW Greifs­wald, 1976-79, von Münch stieg der Künst­ler mit dem Faust in das Schlüs­sel­pro­blem der Mensch­heit ein, zeich­ne­te die anti­ken Phi­lo­so­phen und Ato­mi­sten, also ersten »Phy­si­ker«, Leu­kipp, Demo­krit, Epi­kur. Kroll wür­digt den Epi­ku­reis­mus von Lukrez, die Dis­ser­ta­ti­ons­schrift von Karl Marx und das Gemäl­de »Schu­le von Athen« von Raf­fa­el, das wie­der­ge­ge­ben wird. Armin Münch ver­lang­te: »Sto­ße zum Bild­kern vor, suche nach gro­ßer Form, nach Haupt­be­we­gung, nach dem Kos­mi­schen im Irdi­schen«. Die­ser For­de­rung ist schwer nach­zu­kom­men, wenn Kroll mit dilet­tan­ti­scher Nei­gung unmit­tel­bar rea­li­sti­sche Bil­der von Hel­mut Maletz­ke und eige­ne kühn, auch etwas eitel, ein­be­zieht. Aber er hat recht, anzu­mah­nen, Münchs tita­ni­sches Lebens­werk in einer Aus­stel­lung end­lich zu zeigen.

Bei Kroll spielt zu recht das Außen­wand­bild »Mensch und Ener­gie«, 1979, von dem in Dan­zig gebo­re­nen, frei­schaf­fend in Eisen­ach und ab 1954 in Ücke­ritz leben­den Maler Man­fred Kandt (1922–92) eine beson­de­re Rol­le. Der monu­men­ta­le Bild­fries von 2,50 Metern Höhe und 36 Metern Län­ge war im Greifs­wal­der Schön­wal­de I, wo die mei­sten Ein­woh­ner im nahe gele­ge­nen Kern­kraft­werk Nord arbei­te­ten, an einer Schü­ler­gast­stät­te, jetzt Dis­ko­thek, ange­bracht. Sein poli­ti­scher Kern, Lenins Plan »Kom­mu­nis­mus = Sowjet­macht plus Elek­tri­fi­zie­rung des gan­zen Lan­des«, unter GOELRO bekannt, mit Lenin an zen­tra­ler Stel­le, führ­te nach der Ein­la­ge­rung des Bil­des in den 1990er Jah­ren zu sei­ner Ent­sor­gung 2006. Kei­ne Rol­le spiel­te, dass das Bild »mit male­ri­schen und kom­po­si­to­ri­schen Mit­teln in ein Höchst­maß an Über­ein­stim­mung mit dem Gebäu­de« gebracht wur­de (Bru­no Flierl im Künst­ler­ka­ta­log von 1982).

Im 20. Jahr­hun­dert soll­te Pro­me­theus in einer neu­en Men­schen­ge­mein­schaft das Licht der Ver­nunft in die Mas­sen tra­gen. Mit dem wis­sen­schaft­li­chen Neu­ge­winn ver­tief­te sich Krolls Erkennt­nis über die Jah­re. Erst zöger­lich griff die Rück­nah­me Raum, die Atom­ener­gie, die der Mensch zuerst in der Sowjet­uni­on her­vor­brach­te und nutz­te, nicht mehr als »zwei­te Fackel des Pro­me­theus« (Welt­all, Erde, Mensch, 1968) zu ver­ste­hen. Die pro­me­t­hei­sche Visi­on bestimm­te in der DDR spä­ter nicht mehr die Kunst der »Son­nen­su­cher« (Film von Kon­rad Wolf), son­dern das ato­ma­re Feu­er des neu­en Pro­me­theus ent­wickel­te sich zur Crux der Mensch­heit. Neue­re Kunst­wer­ke, die bei Kroll feh­len, bewei­sen die poten­ti­el­le Spreng­kraft des Mythos von Pro­me­theus, dass sich der Mensch mit­tels Wis­sen­schaft und (Atom-)Technik, deren Grund­la­ge die Ver­nunft ist, selbst aus­rot­ten kann.

Peter Krolls »11. Gebot – Du sollst Dich erin­nern« for­dert zum Umgang mit der Geschich­te auf, alles kri­tisch wahr­zu­neh­men und zu prü­fen, ob nicht man­ches aus der Geschich­te wei­ter­hin zu schät­zen sei. Er reiht sein Buch ein in die von Robert Fun­da, Staß­furt, begrün­de­te »Erin­ne­rungs­bi­blio­thek DDR« (bei Inter­es­se am Buch erbit­tet Kroll per­sön­li­che Abspra­che: 03834-5202192). Gegen das Ver­ges­sen bei­zu­tra­gen, möch­te die­ser Ossietzky-Arti­kel dienen.

Peter Kroll gehört zu den Akti­ven, die das Atom­the­ma in der Dis­kus­si­on hal­ten, des­sen Aktua­li­tät sich dadurch zeigt, dass unter Trump im Grand Can­yon (Colo­ra­do) mit der Lüge, der Abbau sei ganz anders als zu Zei­ten des Kal­ten Krie­ges, im Tage­bau mit den alten Ver­fah­ren der Uran­ab­bau wie­der auf­ge­nom­men wird, und dass in Deutsch­land unver­fro­ren wie­der von ato­ma­rer Bewaff­nung gespro­chen und nicht für ein Atom­waf­fen­ver­bot votiert wird.