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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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IPPNW zum Syrienkrieg

Das öffent­li­che Bild des Syri­en­kriegs ist gezeich­net von Wider­sprü­chen und Emo­tio­nen. Was ist Pro­pa­gan­da? Wel­che Infor­ma­tio­nen sind durch Fak­ten beleg­bar? Hilf­reich bei der Beant­wor­tung die­ser und wei­te­rer Fra­ge­stel­lun­gen ist die im Dezem­ber 2018 erschie­ne­ne Stu­die »Der Syri­en­krieg. Dimen­si­on – Hin­ter­grün­de – Per­spek­ti­ven«, ver­öf­fent­licht von der Orga­ni­sa­ti­on Inter­na­tio­na­ler Ärz­te für die Ver­hin­de­rung des Atom­krie­ges – Ärz­te in sozia­ler Ver­ant­wor­tung (IPPNW). Aus der umfang­rei­chen Unter­su­chung wer­den nach­fol­gend zwei Aspek­te her­aus­ge­grif­fen: Kriegs­be­tei­li­gung Deutsch­lands und Rol­le der Friedensbewegung.

Mili­tä­ri­sche Betei­li­gung der Bun­des­re­pu­blik Deutschland

Am 11. Sep­tem­ber 2015 erklär­te der Spre­cher des Aus­wär­ti­gen Amtes, Mar­tin Schä­fer, die deut­sche Regie­rung sei »zutiefst davon über­zeugt, dass es für Syri­en ganz sicher eine mili­tä­ri­sche Lösung nie­mals wird geben kön­nen«. Doch schon Ende Novem­ber 2015 – nach den Atten­ta­ten in Paris am 13. Novem­ber – stell­te der Spre­cher des Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­ri­ums, Jens Flos­dorff, die kon­kre­ten Plä­ne für den Syri­en-Ein­satz der Bun­des­wehr vor: Ent­sen­dung von »[…] etwa 1200 Kräfte[n …] zum Betrieb einer Fre­gat­te, von Tor­na­dos, einer Luft­be­tan­kung, für die Arbei­ten in den Stä­ben zur Koor­di­na­ti­on und auch zur logi­sti­schen Unter­stüt­zung« und sicher­lich auch »für den Krieg gegen den Ter­ror« (Chri­sti­na Wirtz, stell­ver­tre­ten­de Regierungssprecherin).

Schon früh­zei­tig hat­te die Bun­des­wehr eine Bat­te­rie Patri­ot-Abwehr­ra­ke­ten in der tür­ki­schen Grenz­re­gi­on zu Syri­en (400 Sol­da­ten, Bun­des­tags­be­schluss vom 12. Dezem­ber 2012) gegen eine angeb­li­che Bedro­hung des NATO-Part­ners Tür­kei sta­tio­niert. Die in Jor­da­ni­en sta­tio­nier­ten Tor­na­do-Flug­zeu­ge füh­ren für die Luft- und Boden­ein­sät­ze der »Anti-IS-Koali­ti­on« Auf­klä­rungs­flü­ge über Syri­en durch. Am 20. März 2017 star­ben min­de­stens 33 Zivi­li­sten, Flücht­lin­ge, in einer ehe­ma­li­gen Schu­le in al-Mans­ura nahe Rak­ka bei einem US-Luft­an­griff; die Auf­klä­rungs­bil­der hat­ten Tor­na­dos der Bun­des­wehr am 19. März 2017 gelie­fert. Das ist ein wei­te­res Bei­spiel für zivi­le Opfer deut­scher Bun­des­wehr­ein­sät­ze (wie die Bom­bar­die­rung der Tank­la­ster bei Kundus/​Afghanistan im Sep­tem­ber 2009 mit min­de­stens 120 toten Zivi­li­sten). Durch Waf­fen­lie­fe­run­gen im gro­ßen Stil an die Tür­kei und Jor­da­ni­en, ins­be­son­de­re aber an die »IS«-Unterstützer Sau­di-Ara­bi­en – laut Tho­mas de Mai­ziè­re ein »Sta­bi­li­täts­an­ker der Regi­on«– und Katar trägt Deutsch­land indi­rekt auch zur Stär­kung des »IS« bei. Dar­über hin­aus berich­te­te die syri­sche Nach­rich­ten­agen­tur SANA über einen Ein­satz des deut­schen Geheim­dien­stes und des Kom­man­dos Spe­zi­al­kräf­te (KSK) in Syri­en; die Bun­des­re­gie­rung stritt dies ab.

Schwer­wie­gen­der für Syri­en – und vor allem für sei­ne Bevöl­ke­rung – aber ist das poli­ti­sche und öko­no­mi­sche Agie­ren Deutsch­lands ihm gegen­über. Das Pro­jekt »The Day After« stell­te der oppo­si­tio­nel­le Syri­sche Natio­nal­rat (SNC), vom Westen als ein­zi­ge Ver­tre­tung der Oppo­si­ti­on aner­kannt, Ende August 2012 vor. In den Räu­men der von der Bun­des­re­gie­rung finan­zier­ten Stif­tung Wis­sen­schaft und Poli­tik (SWP) half das deut­sche Außen­mi­ni­ste­ri­um mit Geld, Visa und Logi­stik, koope­rier­te also mit Kräf­ten, die an einem mili­tä­ri­schen Sturz des Assad-Regimes arbei­te­ten. Der Öffent­lich­keit blie­ben die­se Akti­vi­tä­ten der deut­schen Regie­rung weit­ge­hend unbe­kannt – bis heu­te. Nach dem Mas­sa­ker von Hula am 25. Mai 2012, das die mei­sten west­li­chen Medi­en und Poli­ti­ker der syri­schen Armee anla­ste­ten, wur­den vier Tage spä­ter die syri­schen Bot­schaf­ter aus west­li­chen Län­dern aus­ge­wie­sen. Für die Bevöl­ke­rung Syri­ens noch ver­hee­ren­der als der Abbruch der diplo­ma­ti­schen Bezie­hun­gen ist der öko­no­mi­sche Boy­kott, den Deutsch­land als stärk­ste Wirt­schafts­macht der EU gegen Syri­en betreibt. Schon sehr früh­zei­tig, zu Beginn der Kon­flik­te, ver­häng­ten die USA und die EU Sank­tio­nen gegen Syri­en. Am 6. März 2011, sogar vor Aus­bruch der Unru­hen in Daraa, wur­de der »Syria Free­dom Sup­port Act« in den US-Kon­gress ein­ge­bracht. Bischö­fe und füh­ren­de Ver­tre­ter katho­li­scher Kir­chen Syri­ens wand­ten sich im Früh­jahr 2016 ver­zwei­felt an die Öffent­lich­keit. In ihrem Appell bekla­gen sie: »In die­sen fünf Jah­ren haben die Sank­tio­nen gegen Syri­en dazu bei­getra­gen, die syri­sche Gesell­schaft zu zer­stö­ren: Sie lie­fern sie dem Hun­ger, Epi­de­mien und Elend aus und arbei­ten somit den Mili­zen […] und Ter­ro­ri­sten, die heu­te auch in Euro­pa zuschla­gen, in die Hand.« Die UN-Wirt­schafts- und -Sozi­al­kom­mis­si­on für West­asi­en (UN-ESCWA) bezeich­ne­te die Sank­tio­nen als die »kom­pli­zier­te­sten und wei­te­strei­chen­den Sank­ti­ons­maß­nah­men, die jemals ver­hängt wur­den […] Das gewal­ti­ge Aus­maß der Zer­stö­run­gen […] hat zu einem dring­li­chen Bedarf an Ent­wick­lungs- und Wie­der­auf­bau­hil­fe geführt.« Der UN-Sicher­heits­rat hat die Sank­tio­nen nie unterstützt.

Spal­tung und Läh­mung der Friedensbewegung

Grund­sätz­lich ist man sich unter Frie­dens­ak­ti­vi­stin­nen und -akti­vi­sten dar­über einig, dass Krieg als Mit­tel zur Durch­set­zung poli­ti­scher Zie­le abzu­leh­nen ist. Der Mei­nung waren auch die Teil­neh­mer einer Akti­ons­kon­fe­renz, zu der die Kam­pa­gne »Macht Frie­den. Zivi­le Lösun­gen für Syri­en« die Frie­dens­be­we­gung im Mai 2017 ein­ge­la­den hat­te. Auch die brei­te Mas­se der Bevöl­ke­rung teilt die­se Auf­fas­sung: Wie Umfra­gen bestä­ti­gen, lehnt die Mehr­heit der Men­schen in Deutsch­land ein mili­tä­ri­sches Ein­grei­fen der Bun­des­wehr in den Kon­flikt ab. Wie die aktu­el­le Situa­ti­on in Syri­en ein­zu­schät­zen und wie dar­auf zu reagie­ren sei, dazu gehen aber auch inner­halb der Frie­dens­be­we­gung die Auf­fas­sun­gen aus­ein­an­der. »Das Regime von Prä­si­dent Assad trägt die Haupt­schuld an der Mise­re.« Die­se in den Mas­sen­me­di­en über­wie­gend ver­brei­te­te ein­sei­ti­ge Schuld­zu­wei­sung wird von den mei­sten Orga­ni­sa­tio­nen zwar in Fra­ge gestellt oder gar abge­lehnt, führt aber auch in für den Frie­den enga­gier­ten Krei­sen zu Ver­un­si­che­rung bis hin zur ein­deu­ti­gen Par­tei­nah­me in dem Kon­flikt. Im Dezem­ber 2012 ver­öf­fent­lich­te med­ico inter­na­tio­nal zusam­men mit der Initia­ti­ve »Adopt a Revo­lu­ti­on« einen Auf­ruf mit dem Titel »Frei­heit braucht Bei­stand«, der von zahl­rei­chen Per­sön­lich­kei­ten aus der Zivil­ge­sell­schaft unter­schrie­ben wur­de. In dem Auf­ruf wird die Ver­ant­wor­tung für die gewalt­sa­me Eska­la­ti­on der im Kon­text des »Ara­bi­schen Früh­lings« anfangs fried­li­chen Pro­te­ste in Syri­en ein­sei­tig der Regie­rung unter Baschar al-Assad zuge­schrie­ben. Der Text distan­ziert sich nicht von der bewaff­ne­ten, aus deser­tier­ten Sol­da­ten der Syri­schen Armee gebil­de­ten oppo­si­tio­nel­len Frei­en Syri­schen Armee. Der Auf­ruf hat eine hef­ti­ge Dis­kus­si­on inner­halb der Frie­dens­be­we­gung aus­ge­löst, die unter ande­rem auf der Akti­ons­kon­fe­renz der Kam­pa­gne »Macht Frie­den« im Mai 2017 geführt wur­de und die bis heu­te anhält. Med­ico inter­na­tio­nal unter­stützt wei­ter­hin zivi­le Pro­jek­te der syri­schen bewaff­ne­ten Oppo­si­ti­on. Adopt a Revo­lu­ti­on geht deut­lich wei­ter: Wäh­rend vor­der­grün­dig für die Unter­stüt­zung zivil­ge­sell­schaft­li­cher Pro­jek­te gewor­ben wird, erklärt man die Abset­zung der aktu­el­len Regie­rung zur Bedin­gung für den Frie­den. Die Zeit ver­öf­fent­lich­te am 7. Janu­ar 2016 einen Arti­kel von Eli­as Per­abo, einem der Grün­der und Wort­füh­rer von Adopt a Revo­lu­ti­on mit der Über­schrift: »Pseu­do­pa­zi­fi­sten«. Dar­in stell­te er fest: »Um in Syri­en Frie­den zu ermög­li­chen, muss die Nicht­ein­mi­schung einer akti­ven Außen­po­li­tik weichen.«

Wer für den Frie­den ein­tre­ten möch­te, noch dazu in einer so kom­ple­xen Situa­ti­on wie der in Syri­en, soll­te sich davor hüten, für eine der Kon­flikt­sei­ten Par­tei zu ergrei­fen. Wem das nicht gelingt, der geht den Kriegs­trei­bern auf den Leim. Das bedeu­tet nicht, einer Äqui­di­stanz das Wort zu reden, son­dern auf der Basis von Fak­ten eine Debat­te über Kriegs­in­ter­es­sen und deren Ver­tre­ter zu füh­ren mit dem Ziel, mit Grün­den für eine gewalt­freie Lösung inter­na­tio­na­ler Kon­flik­te die Mei­nungs­füh­rer­schaft zu gewinnen.

Die 80-sei­ti­ge Stu­die ist bei www.ippnw.de/bit/syrienakzente zu lesen oder kann für 10 Euro plus 4,70 Euro Ver­sand­ko­sten im Online­shop https://shop.ippnw.de/ bestellt wer­den. Alle Quel­len zu den im Arti­kel auf­ge­führ­ten Zita­ten sind in der Stu­die zu finden.