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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Spaß beiseite

Ver­such
Ein löb­li­cher Vor­satz: Mal die Malai­se der Gegen­wart komisch neh­men. Mal rich­tig lustig machen über alles. Nar­ren sehen wir doch aller­or­ten wir­ken. Beim besten Wil­len ist mir als auch nur begrenzt humor­vol­lem Men­schen kaum mehr mög­lich, das mensch­li­che Trei­ben auf die­sem Teil­ge­biet des gefähr­de­ten Pla­ne­ten noch ernst zu neh­men. Da wird zu viel Ernst gemacht. Töd­li­cher Ernst. Glück­se­lig wer­den die Leu­te, wie es scheint, nur durch Feind­se­lig­keit. Lie­be­vol­le Zuwen­dung wan­delt sich in for­mel­le Empa­thie. Benut­zen wir über­haupt noch die deut­sche Spra­che, um den Ver­stand zum Ver­stän­di­gen zu benut­zen? Da kämp­fen wir immer um oder für oder gegen etwas. Frie­dens-Kampf? Das ist Krampf. Das wis­sen wir vom geschei­ter­ten Staats­expe­ri­ment Ost. Da waren dau­ernd »Sie­ger der Geschich­te« gefor­dert. An jeder Nie­der­la­ge gab es Schul­di­ge. Gut oder böse. Gigan­tisch­stes Kali­ber: Noch leben­den Ohren­zeu­gen des Ultra-Fana­tis­mus eines Joseph Goeb­bels jagt sei­ne auf »End­sieg« zie­len­de rhe­to­ri­sche Fra­ge von 1943 »Wollt ihr den tota­len Krieg?« noch heu­te unheil­ba­ren Schrecken ein.

Erfah­rung
Ist es aus­sichts­los? Spaß vor­bei? Hat er, zur Blö­de­lei aus­geu­fert, kei­nen Halt mehr? Ein gerüt­telt Maß Lebens­er­fah­rung hin­ter mir, erle­be ich heu­te eine total ver­än­der­te Zeit. Ja, ich weiß es – ich bin nicht mehr pass­ge­recht. Mit einem lachen­den Auge asym­me­trisch. Das sieht vie­les nur noch als gro­tes­ken Teu­fels­spuk. Gewalt­ta­ten im Klei­nen und im Gro­ßen. Eine ima­gi­när von Ismen bestimm­te Deu­tungs­ho­heit kom­man­diert. Wer kei­ne Ideen hat, braucht offen­bar Ideo­lo­gie. Ismen wie Sand am Meer. Unaus­ge­spro­chen von Fana­tis­mus und Radi­ka­lis­mus getrie­ben. Sie rui­nie­ren mit Gewalt und Tücke die besten Ideen­an­sät­ze. Von Schlag­wor­ten wie Beton­brocken bom­bar­diert, gehen die Men­schen in Deckung. Flüch­ten in die rech­te Ecke. Üben dort, gleich­gül­tig zu wer­den. Und wäh­len mas­sen­haft ver­meint­li­che Alter­na­ti­ven. Bereit, sich zu radikalisieren.

Wur­zel­be­hand­lung
Hal­lo: Radi­ka­li­sie­ren. Marx und Engels grü­ßen mit dem Zitat. »Radi­kal­sein ist, die Sachen an der Wur­zel zu fas­sen.« Die Wur­zeln (latei­nisch: radi­ces) erfas­sen. Eben nicht her­aus­rei­ßen. Auf die Spit­ze getrie­be­ne Ismen ver­let­zen jedes Maß. Der eine Ismus will den ande­ren Ismus stets mit der Wur­zel aus­rot­ten. Wenn schon Marx genia­le Gesell­schafts­ana­ly­se zu dem Mon­strum eines Mar­xis­mus per­ver­tier­te, der die gan­ze Welt befrei­en will – da gibt es genug ande­re Bei­spie­le. Katho­li­zis­mus zu Inqui­si­ti­on. Pie­tis­mus zu Dog­ma. Kolo­nia­lis­mus zu Völ­ker­mord. Ras­sis­mus zu noch Schlim­me­ren. Sexis­mus zu Hexen­ver­bren­nung. Wenn Kom­mu­nis­mus zu Sta­lins Ver­bre­chen führ­te, dann Anti­kom­mu­nis­mus zu Verfolgungswahn.

Nur über Semi­tis­mus herrscht eisi­ges Schwei­gen. Das gro­ße Anti davor ist der Ver­weis auf den pri­mi­tiv­sten Juden­hass. Der auf ger­ma­ni­schen Runen fußen­de Arier­kult bleibt heu­te zum Glück aus­ge­klam­mert. Ent­stell­ter Ver­er­bungs­wahn gehör­te dazu.

Kobolz der Logik
Ein Cha­os berech­tig­ter Ver­ur­tei­lun­gen mün­det in ein Infer­no von Schuld­zu­wei­sun­gen. Das macht eine sach­li­che Erör­te­rung von eige­nen Feh­lern und Fehl­ent­wick­lun­gen kaum noch mög­lich. Logisch geht es ohne­hin nicht zu. Denn das eine Volk soll stets kom­plett und kon­se­quent zu sich selbst fin­den. Um eine aner­kannt selb­stän­di­ge Nati­on zu sein. Die ter­ri­to­ria­le Grö­ße ist dann zweit­ran­gig. Haupt­sa­che unab­hän­gig. Am Abhang fin­den nur die Hang­hüh­ner des bekann­ten Wit­zes Halt. Das genaue Gegen­teil ist die durch wach­sen­de Migra­ti­on erfol­gen­de Durch­mi­schung der Völ­ker und ihrer Men­ta­li­tä­ten. Fami­li­en sind nicht mehr aktu­ell? Er und Sie, ganz ver­schie­den, leben zusam­men? Zeu­gen sie eth­nisch rei­ne Kin­der? Da wird mit Recht Migra­ti­on und Assi­mi­la­ti­on zur posi­ti­ven Ver­än­de­rung eines Vol­kes schon aus Alters­grün­den gewünscht. Gegen­pro­gramm: Das ver­meint­lich ein­deu­tig eth­nisch defi­nier­te Mai­dan-Land pro­vo­ziert in Krieg mün­den­den bewaff­ne­ten Kon­flikt. Der Gegen­spie­ler stol­pert mit spür­ba­rer Über­macht als aggres­si­ver Böse­wicht par excel­lence auf die poli­ti­sche Büh­ne. Eine Schmierentragödie.

Kul­tur
In den 90er Jah­ren öff­ne­te sich ein Him­mel des Frie­dens. Da erzähl­ten vor­her Ver­fein­de­te Ost und West ein­an­der, was sie wie erlebt hat­ten. Auf Augen­hö­he. Kon­kret an den ein­fach­sten Bei­spie­len. Da wur­de klar: Wie in der poli­tisch hoch­ge­putsch­ten Tei­lung unse­re Kul­tur uns immer ver­band. Woher kommt heu­te die Schwie­rig­keit, Wort und Begriff der Kul­tur zu defi­nie­ren? Ob es sich lohnt, dafür Geld aus­zu­ge­ben, wird gefragt. Scheu­klap­pen behaf­tet rät­seln büro­kra­tisch ori­en­tier­te Par­la­men­ta­ri­er her­um. Sie ora­keln von »west­li­chen Wer­ten«. Hans March­witza, schlich­ter Autor aus dem ober­schle­si­schen Koh­len­pott, wuss­te: »Jeder zwei­te Herz­schlag unse­res Lebens ist Kul­tur.« Das stand 1966 bis 2008 am Ein­gang des nach ihm benann­ten Kul­tur­hau­ses Pots­dam, in dem zwei krea­tiv restau­rier­te histo­ri­sche Bau­ten sinn­voll ver­ei­nigt wur­den. Was zu der Zeit in sol­chen Kul­tur­häu­sern gepflegt wur­de, wur­de im Wort­sinn des Ursprungs von latei­nisch cul­tu­ra gleich Pfle­ge gese­hen. Man­che sagen Zivi­li­sa­ti­on dazu. Ess­kul­tur und Fei­er­kul­tur, Bild­kul­tur und Musik. Mode und Form­ge­bung. Ja – und das Lachen, Humor und Sati­re gehö­ren dazu.

Spaß­tra­di­ti­on
Dik­ta­tu­ren sind Sym­bo­le der Unkul­tur. Aber sie för­dern wider Wil­len oft ihren Gegen­part. Größ­te Kunst­lei­stung als Quit­tung. Die besten frei­sin­nig geleb­ten Kunst­wer­ke waren oft genug staat­li­che oder kirch­li­che Auf­trags­wer­ke mör­de­ri­scher Poten­ta­ten. Die Medi­ci und Michel­an­ge­lo setz­ten eine lan­ge Ahnen­rei­he fort. Der Geist von Witz und Scherz von der Anti­ke über Shake­speare bis Hein­rich Hei­ne und E.T.A. Hoff­mann hell­te fin­ste­re Zei­ten auf. Die von der Dik­ta­tur pro­vo­zier­te popu­lä­re, gewitz­te Iro­nie hat heu­te Sel­ten­heits­wert. Wer nicht gehö­rig erschrickt und sein Ent­set­zen schrill und laut arti­ku­liert, ist ver­däch­tig. Alle nam­haf­ten deutsch­spra­chi­gen Sati­ri­ker der Ver­gan­gen­heit mach­ten sich nach Kräf­ten lustig über eine Poli­tik mör­de­ri­scher Ernst­haf­tig­keit. Wer heu­te so etwas macht, droht ein Sakri­leg zu verletzen.

Markt­fä­hig­keit
Nun wird Kunst total vom soge­nann­ten Markt bestimmt. Es gibt für die Mas­se eine per­fek­te Unter­hal­tungs­in­du­strie. Und dane­ben das idea­le Reser­vat eli­tä­rer Musik-und-Theaterkultur.

Sie spie­gelt die demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung einer Medi­en­frei­heit, die ande­re Mei­nun­gen zulässt. Ja, wie schön. Sie wird aber in erster Linie ein Markt­fak­tor. Und der Markt ist es, der sie nur als Krea­tiv­wirt­schaft sieht. Er ist kein Auf­trag­ge­ber im klas­si­schen Sinn. Wenn ich das Radio anstel­le – selbst beim Kul­tur­sen­der höre ich als erstes das Wort Geld. Prei­se, Kosten, Gewin­ne, Stra­fen, Kri­mi­na­li­tät. Posi­tiv und nega­tiv. Finan­zen als Leit­wäh­rung aller Kul­tur. Die sich erge­ben­den Lei­stun­gen las­sen sehr zu wün­schen übrig. Die wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­se, um alles Bis­he­ri­ge umzu­wäl­zen, sind da. Man kann dar­auf war­ten, wie schnell sie ver­grö­bert wer­den und, zum prak­ti­schen Han­deln gebrauchs­fer­tig gemacht, Unheil anrich­ten. Die Digi­ta­li­sie­rung begün­stigt zunächst unge­mein den künst­le­ri­schen Schaf­fens­pro­zess. Der Mensch lebt jedoch ana­log – und sei­ne Hän­de sind sein zwei­tes Gehirn. Das allein gibt dem eine Form, was er schafft. Das Gewach­se­ne und Gege­be­ne ist sicht­bar und greif­bar nur als wun­der­bar gestal­te­te kul­tur­vol­le Natur. Schlag nach bei Goe­the: Sie ist das Göttliche.

Tie­ri­scher Ernst
Man sagt – das Tier lache nicht. Ich habe da mei­ne Zwei­fel. Tie­re kön­nen sich spür­bar freu­en und trau­ern. Allein die Maschi­ne, die Appa­ra­tur, das Aggre­gat, und wie das alles heißt, kann das nicht. Lie­ben und Lachen ist Pri­vi­leg von Lebe­we­sen. Und davon gibt es in mensch­li­cher Aus­füh­rung weiß Gott genug auf der Welt. Eine mensch­lich vita­le, Form gewor­de­ne Kunst kann das Herz­stück der Kul­tur sein. Bild­kunst nur als form­lo­se Akti­on? Das dürf­te zu wenig sein. Eine dürf­ti­ge All­tags­äs­the­tik dane­ben lässt inzwi­schen selbst einen Hund jam­mern. Ist der Mensch ernst­haft damit zufrie­den, wie das Neu­ge­schaf­fe­ne aussieht?