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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Seenotretter unerwünscht

In dem Film »Io Capi­ta­no« vom ita­lie­ni­schen Regis­seur Matteo Gar­ro­ne aus dem Jahr 2023 ver­fol­gen die Zuschau­er die Geschich­te von zwei sene­ga­le­si­schen Jugend­li­chen, Sey­dou und Moussa, die aus ihrer Hei­mat flie­hen und ver­su­chen, nach Euro­pa zu kom­men. Fast am Ende ihrer ver­zwei­fel­ten Rei­se kom­men sie nach Liby­en. Nach der Befrei­ung aus einem Lager steht vor ihnen die letz­te Her­aus­for­de­rung, die Rei­se über das Mit­tel­meer. Sie haben aller­dings kein Geld für die Fahrt, und wenn sie mit­fah­ren wol­len, muss einer der bei­den das Boot steuern.

Die Rei­se und der Film enden an der Küste Ita­li­ens. Was danach kommt, bleibt offen. Sicher ist aller­dings, dass etli­che Migran­ten, die in ähn­li­cher Wei­se wie Sey­dou und Moussa nach Ita­li­en gekom­men sind, jetzt wegen Men­schen­schmug­gel vor Gericht stehen.

Eine ähn­li­che Ankla­ge wur­de 2017 gegen zehn Besat­zungs­mit­glie­der des See­not­ret­tungs­schiffs Iuven­ta und ihre Betrei­ber-Orga­ni­sa­tio­nen (Jugend ret­tet, Ärz­te ohne Gren­zen und Save the Child­ren) erho­ben. Sie­ben Jah­re hat der Pro­zess gedau­ert. Die Ver­tei­di­gung der Ange­klag­ten hat um die 800.000 Euro geko­stet; der ita­lie­ni­sche Staat hat um die drei Mil­lio­nen Euro in den Pro­zess inve­stiert. Den Besat­zungs­mit­glie­dern droh­ten 20 Jah­re Haft. Jetzt, end­lich, ende­te das Ver­fah­ren mit einem Freispruch.

Die Freu­de nach dem Urteil ist durch­aus getrübt. Das Schiff liegt ver­rot­tet im Hafen von Nea­pel. Wie vie­le Men­schen hät­ten in den sie­ben Jah­ren damit geret­tet wer­den kön­nen? Wie vie­le sind seit­dem im Meer gestorben?

Alles beginnt 2017. Der Wind weht schon von rechts, Sal­vi­ni und Melo­ni war­nen laut­hals vor der Inva­si­on aus Afri­ka und schü­ren die Äng­ste der Ita­lie­ner. Die Natio­nal­wah­len 2018 ste­hen bevor, und die dama­li­ge lin­ke Regie­rung von Gen­ti­lo­ni ent­schei­det sich für einen här­te­ren Kurs in Sachen Migra­ti­ons­po­li­tik. Der ehe­ma­li­ge Innen­mi­ni­ster Min­ni­ti ver­ab­schie­det also einen Ver­hal­tens­ko­dex für die in See­not­ret­tung invol­vier­ten NGOs, der ihre Arbeit stark ein­schrän­ken wür­de. Iuven­ta wei­gert sich, den Kodex zu unter­zeich­nen, und das Schiff wird beschlagnahmt.

Drei ehe­ma­li­ge Poli­zi­sten, die für eine pri­va­te Sicher­heits­fir­ma auf dem Schiff arbei­ten, berich­ten der Poli­zei von ver­däch­ti­gen See­not­ret­tungs­ak­tio­nen der Besat­zungs­mit­glie­der. Die Poli­zei geht dem Ver­dacht nach und wirft der Besat­zung in ihrem Ermitt­lungs­be­richt vor, mit Schlep­pern koope­riert und weni­ge Kilo­me­ter vor der nord­afri­ka­ni­schen Küste gezielt Migran­ten aus Schlep­per­boo­ten über­nom­men zu haben – ohne, dass See­not vorlag.

Der Iuven­ta-Pro­zess beginnt – ein media­ler Pro­zess, der von einer Ver­leum­dungs­kam­pa­gne gegen NGOs beglei­tet wird, an denen sich fast alle wich­ti­gen Medi­en betei­li­gen. Gleich­zei­tig wird vom Innen­mi­ni­ste­ri­um ein Deal mit Liby­en ver­ein­bart, der das Land ver­pflich­tet, Migran­ten und Asyl­su­chen­de von der Über­fahrt abzu­hal­ten. Die liby­sche Küsten­wa­che wird mit EU-Gel­dern auf­ge­rü­stet und mit See­not­ret­tungs­auf­ga­ben beauf­tragt. Die Arbeit der NGOs wird mehr­fach erschwert. Schif­fe wer­den beschlag­nahmt, aus Ver­wal­tungs­grün­den in den Häfen fest­ge­hal­ten und vom Mit­tel­meer fern­ge­hal­ten, sie wer­den mit Geld­bu­ßen bestraft, es wird sogar auf sie geschos­sen, wie es vor kur­zem dem Schiff Mare Jonio pas­siert ist.

Nach nun­mehr sie­ben Jah­ren muss­te die Staats­an­walt­schaft jetzt ein­räu­men, dass die Aktio­nen der NGO-Akti­vi­sten kein Ver­bre­chen dar­stel­len. Das ent­spre­chen­de Urteil des Rich­ters: Frei­spruch wegen Feh­lens eines Tat­be­stan­des. Es brauch­te also sie­ben Jah­re, um fest­zu­stel­len, dass die Ankla­ge auf einer Ansamm­lung an Lügen bestand.

Die Nach­richt ging kurz durch alle Medi­en, sorg­te aber für kei­ne gro­ße Auf­re­gung. Die­sel­ben libe­ra­len Medi­en, die 2017 Iuven­ta und die ande­ren Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen noch gekreu­zigt hat­ten, jubeln nun über den Frei­spruch der Akti­vi­sten. Poli­ti­ker und Jour­na­li­sten, die dem rech­ten Lager zuzu­rech­nen sind, schrecken aller­dings wei­ter­hin nicht davor zurück, die See­not­ret­tungs­ak­tio­nen der NGOs als Men­schen­schmug­gel zu besu­deln. Sie rech­nen wohl damit, dass der Iuven­ta-Pro­zess und sein Aus­gang bald ver­ges­sen sein werden.