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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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A la Tyrolienne

Den Tiro­lern, geo­gra­fisch heu­te in der Repu­blik Öster­reich lebend, wird eine Lustig­keit nach­ge­sagt, die, nimmt man das Kin­der­lied für bare Mün­ze, bis zum Irr­sinn gehen kann. Lustig und froh, wie sie also sind, heißt es da, ver­kau­fen sie, wenn sie ein Gläs­chen getrun­ken haben, »ihr Bett­chen und schla­fen auf Stroh«. Dass auch die Süd­ti­ro­ler, geo­gra­fisch heu­te in der Repu­blik Ita­li­en lebend, von ähn­li­chem Irr­sinn befal­len wer­den kön­nen, hat sich die­ser Tage ein­mal mehr gezeigt.

Pünkt­lich zum Jah­res­wech­sel hat­te der Süd­ti­ro­ler Schüt­zen­bund sein neu­es Pro­jekt »Mam­ma Tirol« als You­Tube-Video vor­ge­stellt, mit dem Lan­des­kom­man­dan­ten Major Jür­gen Wirth Ander­lan als Rap­per. Hier eini­ge Text­aus­zü­ge des zehn Stro­phen umfas­sen­den Songs, von Ander­lan per­sön­lich aus dem Dia­lekt ins Hoch­deut­sche übertragen:

»Frü­her hat­ten in Tirol die Men­schen noch Visi­on /​ Heu­te leben wir im Süden in der fal­schen Nati­on /​ Umge­ben von Lüg­nern, mein Nach­bar ein Spi­on /​ Und ich mit­ten­drin, der dait­sche cogli­on (Anm. K.N.: Cogli­on = Idiot).

Sie wer­den immer mehr die­se Hei­mat­ver­rä­ter /​ Nicht mal Respekt vor ihren eige­nen Vätern /​ Sie ken­nen nicht den Ander (Anm. K.N.: Ander = Andre­as Hofer), dafür die Gre­ta /​ Im Park vor mei­nem Haus liebt der Die­ter den Peter.

Cool­ness­mä­ßig platzt das Land aus allen Näh­ten /​ Aber wo sind die Typen die uns­re Wer­te noch ver­tre­ten /​ Migran­ten, Stu­den­ten und vie­le Pro­phe­ten /​ Ver­ges­sen ihre Wur­zeln und ret­ten Planeten.«

Ein Sturm brach los. Alle Vor­bild­wir­kun­gen, die die Tiro­ler Schüt­zen für sich bean­spru­chen, gerie­ten unter den Gene­ral­ver­dacht von Ras­sis­mus, Frau­en­feind­lich­keit, Homo­pho­bie und Revi­sio­nis­mus. Und der Ver­fas­ser setz­te auf den einen Schelm noch einen andert­hal­ben, indem er sich, vom Rap­pel über­mannt, brü­ste­te, sein Song beinhal­te die »DNA des SSB«, also die Erb­an­la­ge des Süd­ti­ro­ler Schützenbundes.

Prompt stie­gen die Rap­per Casa Roc­cia und Beri­se in den Schüt­zen­gra­ben und reagier­ten, wie es sich für Batt­le-Rap­per gehört, inner­halb von 24 Stun­den mit einem Diss-Track, eben­falls in Süd­ti­ro­ler Mund­art: »Weil wir für ein offe­nes Süd­ti­rol sind, wo jeder Teil der Gesell­schaft sein kann, egal wel­cher Haut­far­be, Reli­gi­on oder sexu­el­len Orientierung.«

Eben­so schnell reagier­te der Bund der Tiro­ler Schüt­zen­kom­pa­nien mit schar­fer Kri­tik. Die Bun­des­lei­tung sah sich zur Scha­dens­be­gren­zung auf­ge­ru­fen und erklär­te post­wen­dend, dass die Schüt­zen wei­ter­hin für ihre Wer­te ein­stün­den, »wie die Treue zu Gott, Fest­hal­ten am christ­li­chen Glau­ben – über­lie­fer­ter Väter­glau­be – und am gei­stig-kul­tu­rel­len Erbe der Vor­fah­ren«, aber auch, natür­lich, für »den Schutz der Hei­mat, der Tiro­ler Lebens- und Wesens­art« sowie, nicht zuletzt, für die Ein­heit des Lan­des Tirol«.

Ander­lan blieb nichts ande­res übrig, als »nach ein­ge­hen­der Dis­kus­si­on in der Sit­zung der Bun­des­lei­tung« von sei­nem Amt als Lan­des­kom­man­dant zurück­zu­tre­ten. Zu toxisch war das Gebräu, das er ange­rührt hat­te. Die Kri­ti­ker hat­ten auch gerügt, dass die Inhal­te des Schüt­zen-Rapps nicht nur auf die Süd­ti­ro­ler Schüt­zen (= Ita­li­en. K.N.), son­dern »auch auf die Schüt­zen Ost- und Nord­ti­rols (= Öster­reich. K.N.) reflek­tie­ren«. Noch immer ist die 100 Jah­re alte Wun­de der Abtren­nung Süd­ti­rols von Öster­reich nach dem Ersten Welt­krieg nicht geheilt, und im »Aus­land­st­irol« im Süden wol­len immer noch eini­ge es den Wild­gän­sen nach­tun und – bild­lich gese­hen – nach Nor­den zie­hen. Andre­as Hofer lässt grüßen.

Nicht nur die­se Gescheh­nis­se zei­gen, Faul­k­ner sei mal wie­der zitiert, dass das Ver­gan­ge­ne nicht tot ist, dass es nicht ein­mal ver­gan­gen ist (»The past is never dead. It’s not even past«). Denn Andre­as Hofers Erben kämp­fen noch an einer ande­ren Front. Am 2. März rücken die Süd­ti­rol News (online) erneut ein You­Tube-Video in den Blick­punkt, dies­mal von elf Süd­ti­ro­ler Ärz­ten, Phar­ma­zeu­ten und Psy­cho­lo­gen gedreht, alle­samt nicht oder nicht mehr für den Sani­täts­be­trieb tätig. In ihm wird die Coro­na-Imp­fung infra­ge gestellt und emp­foh­len, sich mit einem gesun­den Lebens­stil und posi­ti­ver Grund­hal­tung vor dem Virus zu schüt­zen. Gegen die Grup­pe wur­de bei der Staats­an­walt­schaft Anzei­ge »wegen Beun­ru­hi­gung der Öffent­lich­keit« erstattet.

Was die­se Impf­skep­sis mit Andre­as Hofer zu tun hat? Seit Beginn der Imp­fun­gen vor rund 200 Jah­ren zeigt sich eine Min­der­heit stets unbe­ein­druckt von den medi­zi­ni­schen Erfol­gen. So damals auch Hofer, der Anfüh­rer der Tiro­ler Auf­stands­be­we­gung von 1809 gegen die baye­ri­schen und fran­zö­si­schen Besat­zer, der dort, wo er für kur­ze Zeit das Sagen hat­te, die von Bay­ern ein­ge­führ­te Pocken­imp­fung aus­setz­te. Histo­ri­ker neh­men an, dass er unter Ein­fluss sei­nes Mit­kämp­fers Joa­chim Has­pin­g­er stand, einem Kapu­zi­ner­pa­ter, und wie die­ser befürch­te­te, der rei­nen Tiro­ler See­le wür­de »baye­ri­sches Den­ken« ein­ge­impft. (Heu­te sind es die Mikro­chips, die der Micro­soft-Grün­der Bill Gates im Kampf gegen Coro­na angeb­lich den Men­schen ein­pflan­zen will, um welt­weit die tota­le Kon­trol­le zu erlangen.)

Fast klingt es wie ein Kom­men­tar dazu, was Hein­rich Hei­ne knapp zwei Jahr­zehn­te nach Hofers Tod nie­der­schrieb, als er im Som­mer 1828 auf sei­ner Rei­se mit der Kut­sche von Inns­bruck über den Bren­ner-Pass nach Genua und Flo­renz im Eisack­tal in Bri­xen, ita­lie­nisch: Bress­ano­ne, Sta­ti­on mach­te (»Rei­se­bil­der«, Drit­ter Teil, Kapi­tel XI). »Die Tiro­ler sind schön, hei­ter, ehr­lich, brav und von uner­gründ­li­cher Gei­stes­be­schränkt­heit. Sie sind eine gesun­de Men­schen­ras­se, viel­leicht weil sie zu dumm sind, um krank sein zu können.«

 

Sie­he auch: Ossietzky, Heft 21/​2020 »Von Sen­sen­män­nern«, und Ossietzky, Heft 13/​2019, »Heim ins Öster-Reich«.