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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wer die KI antreibt

Daten gel­ten der Poli­tik als zen­tra­ler Roh­stoff des 21. Jahr­hun­derts. Sieht man all die Krie­ge, die für Roh­stof­fe geführt wur­den, ver­heißt das nichts Gutes.

Die Bun­des­re­gie­rung hat­te 2018 eine »Stra­te­gie Künst­li­che Intel­li­genz« (KI) beschlos­sen, damit sich »Deutsch­land und Euro­pa« (gemeint ist die EU) zum »füh­ren­den Stand­ort für die Ent­wick­lung und Anwen­dung von KI-Tech­no­lo­gie ent­wickeln« kön­nen. Ende Janu­ar 2021 leg­te sie eine »Daten­stra­te­gie« vor. Laut Kanz­ler­amts­mi­ni­ster Hel­ge Braun (CDU) will man damit Unter­neh­men und Behör­den dazu brin­gen, Daten zur gewerb­li­chen Nut­zung bereit­zu­stel­len, um den Daten­tur­bo auf Tou­ren zu brin­gen. Daten­spar­sam­keit sei kein »Game-Chan­ger«, ergänz­te die Uni­ons­frak­ti­ons­vi­ze Nadi­ne Schön.

Neben der Bun­des­re­gie­rung trei­ben auch Län­der und Kom­mu­nen den Stand­ort­check in Sachen KI vor­an. Baden-Würt­tem­berg setzt sich an die Spit­ze und initi­iert einen Wett­be­werb zur Ein­rich­tung eines »Inno­va­ti­ons­parks KI«. Bei der so erzeug­ten Kon­kur­renz zwi­schen Regio­nen rech­net sich Karls­ru­he im Ver­bund mit der Wirt­schafts­re­gi­on Stutt­gart und dem Neckar-Alb-Kreis gute Chan­cen aus, zumal sich die Stadt schon Smart City nennt und die För­de­rung eines wei­te­ren Smart Pro­duc­tion Parks über­nimmt. Aber auch Tübin­gen hat was zu bie­ten: Ende 2016 fiel der Start­schuss für die Cyber Val­ley als »Euro­pas größ­tes For­schungs­kon­sor­ti­um im Bereich der künst­li­chen Intel­li­genz mit Part­nern aus Wirt­schaft und Indu­strie«. Das schwä­bi­sche Sili­con Val­ley stößt aller­dings auf erheb­li­chen Wider­stand. Kri­ti­siert wird die Kom­mer­zia­li­sie­rung der Wis­sen­schaft und die Nähe zu Part­nern aus der Rüstungs­in­du­strie. Neben dem Land, der Max-Planck-Gesell­schaft und den Uni­ver­si­tä­ten Stutt­gart und Tübin­gen betei­li­gen sich als »Grün­dungs­part­ner« BMW, Daim­ler, Por­sche, der Auto­dienst­lei­ster IAV, ZF Fried­richs­ha­fen – und Ama­zon, der Kon­zern­gi­gant, der bei KI mit der CIA koope­riert. Sie brin­gen neben Geld ihre Inter­es­sen an For­schungs­er­geb­nis­sen aus der öffent­lich finan­zier­ten Wis­sen­schaft und an schnel­lem Trans­fer der KI-For­schung in ihre pro­fit­ori­en­tier­te Anwen­dung ein.

Die­se Zie­le wer­den in den Beschluss­vor­la­gen der betei­lig­ten Kom­mu­nen zum Inno­va­ti­onpark KI auch aus­drück­lich als Sinn und Ziel des Pro­jek­tes her­vor­ge­ho­ben. Den Gemein­de­rä­ten wie der inter­es­sier­ten Öffent­lich­keit wird kei­ne Zeit für Ana­ly­sen und Dis­kus­sio­nen gelas­sen. Es geht um drei­stel­li­ge Mil­lio­nen­be­trä­ge von Bund, Land und Pri­va­ten, um rie­si­ge Flä­chen als Test­ge­län­de und um die Ver­net­zung von öffent­li­cher För­de­rung und pri­va­ten wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen. Die Stadt­rä­te der drei Part­ner­re­gio­nen – mit Aus­nah­me der Lin­ken – stimm­ten zu, ohne Auf­la­gen wie Tarif­bin­dung, Umwelt­schutz oder eine Zivilklausel.

Was ist auch schon dage­gen ein­zu­wen­den, wenn die »wis­sen­schaft­li­che Revo­lu­ti­on« rasch nütz­li­che Anwen­dung fin­det in allen Berei­chen des Lebens? Vie­le Kran­ke wis­sen die tech­ni­schen Fort­schrit­te in Dia­gno­stik und The­ra­pie zu schät­zen. Die Uni Tübin­gen als Grün­dungs­mit­glied der Cyber Val­ley beschreibt wei­te­re Anwen­dungs­mög­lich­kei­ten wie auto­ma­ti­sche Bild­ver­ar­bei­tung in Kame­ras, Staub­sauger- und Rasen­mä­her-Robo­ter, auto­no­me Fahr­zeu­ge oder KI-Sicher­heits­sy­ste­me. Und auch in der Infra­struk­tur und Pro­duk­ti­on zeich­nen sich bereits Ver­än­de­run­gen ab durch intel­li­gen­te Strom­net­ze, auto­no­me Kom­mu­ni­ka­ti­on der Maschi­nen oder maschi­nel­les Ler­nen. Zu den gesell­schaft­li­chen Aus­wir­kun­gen heißt es lapi­dar, man wol­le »den Wan­del (…) unse­ren Euro­päi­schen Wer­ten fol­gend ver­ant­wort­lich gestalten«.

Was in zahl­rei­chen auf­wän­dig gestal­te­ten Pro­pa­gan­da­schrif­ten nicht vor­kommt, das sind die ande­ren Anwen­dungs­ge­bie­te: Len­kung von Droh­nen­schwär­men, auto­no­me Waf­fen­sy­ste­me und Kil­ler­ro­bo­ter, Gesichts­er­ken­nung und flä­chen­decken­de Über­wa­chung, Pro­pa­gan­da und Mani­pu­la­ti­on der öffent­li­chen Mei­nung. Der US-Geheim­dienst CIA betrieb schon 2017 in enger Ver­bin­dung mit dem Sili­con Val­ley 137 KI-Pro­jek­te. Der IBM-Kon­zern wirbt für die »Stär­kung der natio­na­len Sicher­heit mit Cloud­lö­sun­gen und künst­li­cher Intel­li­genz, um stra­te­gi­sche Fle­xi­bi­li­tät und mili­tä­ri­sche Vor­tei­le zu errei­chen«. Und bei der Münch­ner »Sicher­heits­kon­fe­renz« war 2019 KI das gro­ße The­ma der Geheim­dien­ste und Streit­kräf­te, wie die SZ berich­te­te (19.2.19). Auch der »Ein­fluss von KI in Ver­bin­dung mit dem neu­en Mobil­funk-Stan­dard 5G auf die glo­ba­le Macht­ba­lan­ce« sei dort Dau­er­the­ma gewesen.

Men­schen­rech­te spie­len bei der »Sicher­heits­po­li­tik« kei­ne Rol­le. Wie der kri­ti­sche Enter­tai­ner Jan Böh­mer­mann in sei­ner ZDF-Sen­dung Maga­zin Roy­al zeig­te (05.02.2021), ist die EU-Grenz­schutz­agen­tur Fron­tex dabei, ein flä­chen­decken­des Über­wa­chungs­netz auf­zu­bau­en. Tref­fen die­ser EU-Agen­tur mit Rüstungs­kon­zer­nen wur­den von Fron­tex geleug­net, sind aber bewie­sen – genau­so wie die Ver­stö­ße gegen Men­schen- und Völ­ker­recht bei den Push-Backs von Flüch­ten­den. Fron­tex rüstet mas­siv auf, mit KI-Muster­er­ken­nung, mili­tä­risch geschul­tem Per­so­nal, mit Droh­nen, Satel­li­ten und Radar. Alles für die Siche­rung der EU-Außen­gren­zen, mit einem Bud­get von knapp 550 Mil­lio­nen Euro.

Wer ent­schei­det eigent­lich über den Ein­satz all die­ser Anwen­dun­gen? Der Markt und sei­ne pro­fit­ge­trie­be­nen Akteu­re? Die NATO, Geheim­dien­ste, Fron­tex? Die welt­be­herr­schen­den Digi­tal­kon­zer­ne Ama­zon, Face­book, Goog­le und Co? Oder die Risi­ko­ka­pi­tal­ge­ber, die nur auf den Gewinn schau­en? Das ist die wich­ti­ge Fra­ge, die auch die Befür­wor­ter der neu­en Tech­nik mit ihrem Hin­weis auf die »Unschuld« jeder Erfin­dung beant­wor­ten müssten.

Die EU strebt bei der KI eine Füh­rungs­rol­le an, denn die neue Tech­no­lo­gie sei die ent­schei­den­de Quel­le von Wirt­schafts­wachs­tum. Und zur öko­no­mi­schen Füh­rung gehört das mili­tä­ri­sche Poten­ti­al. Es gibt bereits eine Rei­he von Pro­gram­men der EU, um die Auf­rü­stung und Moder­ni­sie­rung aller Waf­fen­gat­tun­gen zu for­cie­ren. Chri­stoph Marisch­ka beschreibt in der Stu­die »Eine auto­no­me Auf­rü­stung« (2020) die mili­ta­ri­sier­te Poli­tik der EU in dem Bestre­ben, neben den USA und Chi­na ein kon­kur­renz­fä­hi­ger welt­po­li­ti­scher Akteur zu wer­den. Das Stre­ben nach mili­tär­ge­stütz­ter Expan­si­on bedarf natür­lich der Ver­net­zung mit Rüstungs­kon­zer­nen. Die Inter­es­sen­ver­bän­de von Indu­strie und Risi­ko­ka­pi­tal för­dern und for­dern die Inve­sti­tio­nen in ris­kan­te Unter­neh­mun­gen die KI-Ent­wick­lung. Bera­tungs­kon­zer­ne wie Roland Ber­ger oder McK­in­sey pro­pa­gie­ren, laut Marisch­ka, die poli­ti­sche För­de­rung von KI-Start­ups, die öffent­lich finan­zier­te For­schung mit­hil­fe von Wag­nis­ka­pi­tal rasch kom­mer­zia­li­sie­ren sollen.

Der Fan­ta­sie und der Begehr­lich­keit sind bei der KI kei­ne Gren­zen gesetzt. Der 185 Mil­li­ar­den Dol­lar schwe­re Unter­neh­mer Elon Musk hat die Fir­ma Neu­r­a­link zur Ent­wick­lung von Neu­ro­chips gegrün­det, die – im Kopf implan­tiert – mit dem Smart­phone kom­mu­ni­zie­ren sol­len, um Gesund­heits­schä­den zu repa­rie­ren. Der »Trans­hu­ma­nis­mus« ent­wickelt Kon­zep­te, um die bio­lo­gi­schen Gren­zen des Men­schen durch Tech­nik zu über­win­den. Die Ver­schmel­zung der künst­li­chen mit der mensch­li­chen Intel­li­genz sei die näch­ste Stu­fe der Evo­lu­ti­on. Als Pro­blem wird dabei erkannt, dass der KI die Empa­thie fehlt. Das soll aber nicht so blei­ben: Unter­neh­men wol­len die KI-basier­te Inter­ak­ti­on mit Ein­fühl­sam­keit anrei­chern. Die Inte­gra­ti­on von Empa­thie-ähn­li­chem Ver­hal­ten mache KI erst mas­sen­taug­lich. Viel­leicht soll­te man auch die Kil­ler­ro­bo­ter mit die­ser Fähig­keit ausstatten.

Bei Betrach­tung und Bewer­tung all die­ser KI-Plä­ne und -Anwen­dun­gen wird erkenn­bar, dass nicht von der neu­en Tech­nik an sich Gefahr droht. Sie geht von den Inter­es­sen der Pro­fi­teu­re und den gesell­schaft­li­chen Macht- und Ent­schei­dungs­struk­tu­ren aus. Denn KI ermög­licht weit­ge­hend ohne demo­kra­ti­sche Kon­trol­le ganz neue For­men der Über­wa­chung, der Kriegs­füh­rung und der indi­vi­du­el­len Beein­flus­sung durch Pro­pa­gan­da. Sie befeu­ert ein neu­es Wett­rü­sten, das durch die mas­si­ve Ein­fluss­nah­me des mili­tä­risch-indu­stri­el­len Kom­ple­xes unbe­herrsch­bar wird. Regeln des Völ­ker­rechts wer­den aus­ge­he­belt. Auto­no­me Syste­me neh­men den Men­schen die Ent­schei­dung über Mord und Krieg ab. Die Maschi­nen wer­den nicht die Herr­schaft über den Men­schen über­neh­men; sie wer­den aber von Macht­eli­ten genutzt, um ihre Herr­schaft zu festi­gen und aus­zu­bau­en. KI-Maschi­nen sind lern­fä­hig; ein System, das von Pro­fit­in­ter­es­sen gelenkt wird, nicht.

Pro­fi­ter­war­tung ist eine denk­bar schlech­te Ent­schei­dungs­hil­fe für KI-Pro­jek­te. Staat­li­che För­de­rung und pri­va­te Aneig­nung ist Umver­tei­lung zu Lasten der Bevöl­ke­rung. Ein not­wen­di­ger Schritt zur Ände­rung ist die Schaf­fung eines öffent­li­chen Bewusst­seins für all die Gefah­ren des Kon­troll­ver­lusts über Ent­schei­dun­gen, die unser aller Leben betref­fen. Ethik­kom­mis­sio­nen und Plä­doy­ers für Daten­schutz genü­gen nicht. Die Regu­lie­rung muss sich auf die Ent­flech­tung der wirt­schaft­lich-poli­ti­schen Inter­es­sen erstrecken, damit das Gemein­wohl über das Pri­vat­in­ter­es­se gestellt, Frie­dens­po­li­tik durch­ge­setzt und wirt­schaft­li­che Macht demo­kra­tisch kon­trol­liert wird.