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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Olivgrünen

Grün ist eine her­vor­ra­gen­de Tarn­far­be. Vor vie­len Jah­ren war die­se Cou­leur als poli­ti­sche Kon­no­ta­ti­on noch frei ver­füg­bar, eine paar umwelt­be­weg­te Frie­dens­ak­ti­vi­sten grif­fen zu, die alter­na­tiv-öko­lo­gi­sche Par­tei war gebo­ren. Die grü­ne Grup­pie­rung war von Anfang an sehr hete­ro­gen, es gab sowohl den Bio-Bau­er Bal­dur Spring­mann, den man heu­te der rechts­ra­di­ka­len Sied­ler­be­we­gung zuord­nen wür­de, als auch etli­che Kader aus den in Auf­lö­sung befind­li­chen mao­isti­schen Grup­pie­run­gen wie Jür­gen Trit­tin, Ralf Fücks oder Kri­sta Sager. 1983 gelang den Grü­nen der Ein­zug in den Bun­des­tag. Es war die gro­ße Zeit der Frie­dens­be­we­gung. Auf­grund des Nato-Dop­pel­be­schlus­ses wur­den in Deutsch­land die ersten Atom­ra­ke­ten vom Typ »Pers­hing« sta­tio­niert, am Stand­ort Mut­lan­gen gab es Sitz­blocka­den, an denen sich vie­le Grü­ne beteiligten.

Pro­mi­nen­te Ver­tre­te­rin war damals Petra Kel­ly. Sie ver­kör­per­te in den ersten Jah­ren die Anti-Atom­kraft­be­we­gung und die Frie­dens­be­we­gung. Sie hät­te es vor­ge­zo­gen, dass die Grü­nen eine »Anti-Par­tei­en-Par­tei« geblie­ben wären und ver­folg­te die immer mehr zu Tage tre­ten­den Gra­ben­kämp­fe in den Par­tei­gre­mi­en mit gro­ßem Miss­trau­en: »Die Sozi­al­de­mo­kra­ti­sie­rung der Grü­nen schrei­tet vor­an. Wenn das so wei­ter­geht, fra­ge ich mich: Wozu denn noch eine grü­ne Par­tei? (…) Vie­le sehen dar­in den Aus­druck eines Rei­fungs­pro­zes­ses. Wie­so ist es ein Zei­chen von Rei­fe, wenn eine Par­tei ihre Iden­ti­tät und ihr Pro­fil preisgibt?«

1991 lehn­te man ihre Kan­di­da­tur als Spre­che­rin des Bun­des­vor­stands ab, nur noch 30 Pro­zent stimm­ten für sie. Die kämp­fe­ri­sche Idea­li­stin war für die immer stär­ker wer­den­den »Rea­los« zum Stör­fak­tor auf dem Weg in die bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche Rea­li­tät geworden.

Was die Grü­nen ein­mal dar­stell­ten, zeigt der unlängst erschie­ne­ne Film »Die Unbeug­sa­men« von Tor­sten Kör­ner. Eigent­lich geht es da um jene muti­gen Frau­en, die in Par­la­ment und Regie­rung für ihre Rech­te kämp­fen, aber erst die grü­nen Frau­en haben die­sem Anlie­gen durch lei­den­schaft­li­che Rede­bei­trä­ge zum Durch­bruch ver­hol­fen. Vor allem der legen­dä­re Auf­tritt von Wal­traud Schop­pe brach­te das männ­li­che gepräg­te »Hohe Haus« sei­ner­zeit zum Kochen. Das alles ist frei­lich lan­ge her.

Mit der ersten Regie­rungs­be­tei­li­gung unter Ger­hard Schrö­der wur­de die Par­tei 1998 im bür­ger­li­chen Sin­ne salon­fä­hig. Der grü­ne Außen­mi­ni­ster Fischer trug kei­ne Turn­schu­he mehr und zog die Frie­dens­par­tei in den Nato-Krieg gegen Ser­bi­en, ver­kauf­te den stau­nen­den Dele­gier­ten auf dem Par­tei­tag den Koso­vo als neu­es Ausch­witz. Den Außen­mi­ni­ster koste­te es ein geplatz­tes Trom­mel­fell und die Par­tei ein paar Aus­trit­te, doch die Mehr­heit stimm­te für den völ­ker­rechts­wid­ri­gen Kampf­ein­satz. Zu weni­ge woll­ten die gera­de errun­ge­ne Regie­rungs­mehr­heit gefähr­den, es ging dar­um, end­lich mit­zu­re­gie­ren. Längst hat­ten die Rea­los die Macht über­nom­men, die ver­blie­be­nen »Fun­dis« wur­den mit unbe­deu­ten­den Posten abge­fun­den oder emi­grier­ten nach innen. Dafür durf­ten die Grü­nen fast acht Jah­re beim Regie­ren mit­ma­chen, aber geblie­ben ist im Wesent­li­chen das Fla­schen­pfand. Die zwei Legis­la­tur­pe­ri­oden haben aller­dings aus­ge­reicht, die Regeln im bun­des­deut­schen Polit­sa­lon ein­ge­hend zu stu­die­ren und zu über­neh­men. Vor allem die ehe­ma­li­gen Kader von KBW und KB haben schnell begrif­fen, wie lukra­tiv Par­tei­kar­rie­ren sein kön­nen, wenn man die Spiel­re­geln kennt – und einhält.

Auf der ande­ren Sei­te des Atlan­tiks scheint man schnell erkannt zu haben, dass die deut­schen Grü­nen ihren Pazi­fis­mus eher prag­ma­tisch begrei­fen und für Avan­cen emp­fäng­lich sind. Die Außen­mi­ni­ste­rin Made­lei­ne Alb­right konn­te ihren deut­schen Kol­le­gen bald von den Vor­zü­gen einer trans­at­lan­ti­schen Part­ner­schaft über­zeu­gen, wenn­gleich sie ihm eine deut­sche Betei­li­gung am Irak­feld­zug nicht schmack­haft machen konn­te. Die Kar­rie­re des ein­sti­gen Frank­fur­ter Stra­ßen­kämp­fers zum Außen­mi­ni­ster und schließ­lich zum stein­rei­chen Gast­red­ner und Auf­sichts­rat in etli­chen Vor­stän­den war anschei­nend für vie­le grü­ne Funk­ti­ons­trä­ger Vor­bild und Ansporn. So fin­det man vie­le ehe­ma­li­ge und aktu­el­le Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten in diver­sen US-domi­nier­ten Denk­fa­bri­ken und Insti­tu­ten, die dem wer­te­ba­sier­ten Westen hul­di­gen. Ralf Fücks und Marie­lui­se Beck haben 2017 ihren eige­nen »thinktank«: Zen­trum Libe­ra­le Moder­ne gegrün­det und ste­hen für enge trans­at­lan­ti­sche Bezie­hun­gen und hef­ti­ge Geg­ner­schaft zu Russ­land. Seit 2019 erhält das Zen­trum auch Gel­der aus dem Bun­des­haus­halt. »Unser grü­ner Mann gegen Chi­na« ist der Euro­pa-Abge­ord­ne­te Rein­hard Büti­ko­fer, gut ver­netzt im Euro­pa/­Trans­at­lan­tik-Bei­rat und als Mit­glied im Vor­stand des Aspen-Instituts.

Auf Län­der­ebe­ne ist der drin­gen­de Wunsch zur Regie­rungs­macht noch aus­ge­präg­ter. Kei­ner spielt die Rol­le eines CDU-Lan­des­va­ters so gut und erfolg­reich wie der grü­ne Alt­mao­ist Win­fried Kret­sch­mann. In Hes­sen wirft der stell­ver­tre­ten­de Mini­ster­prä­si­dent Al-Wazir fast alle grü­nen Prin­zi­pi­en über Bord, um die Koali­ti­on mit der CDU nicht zu gefährden.

Kon­ver­ti­ten wird nach­ge­sagt, dass sie ihre ehe­ma­li­gen Über­zeu­gun­gen beson­ders radi­kal in Fra­ge stel­len, um im neu­en Lager akzep­tiert zu wer­den. Für die Ver­tre­ter des ehe­mals grün­lin­ken Flü­gels trifft das sicher­lich in den mei­sten Fäl­len zu. Seit dem Krieg in der Ukrai­ne sind auch die letz­ten halb­wegs Auf­rech­ten umge­kippt. Jür­gen Trit­tin will zwar Sau­di-Ara­bi­en kei­ne Waf­fen mehr lie­fern, der Ukrai­ne aber sehr wohl. Anton Hof­rei­ter, die wohl pro­mi­nen­te­ste Figur des lin­ken Flü­gels, hat eine 180-Grad-Wen­dung hin­ge­legt und ist zum stram­men Nato-Anhän­ger kon­ver­tiert. Die drit­te Gene­ra­ti­on der Grü­nen ist voll­ends ins Oliv­grü­ne chan­giert. Pflug­scha­ren wer­den wie­der zu Schwer­tern, die Devi­se heißt nun »Frie­den schaf­fen mit schwe­ren Waf­fen«, die grü­ne Außen­mi­ni­ste­rin freut sich auf die Sank­tio­nen: »Das wird Russ­land rui­nie­ren«, und der Vize­kanz­ler und Wirt­schafts­mi­ni­ster spricht anläss­lich der Oster­mär­sche vom Pazi­fis­mus als einem »fer­nen Traum«. Die jun­gen Expa­zi­fi­sten haben noch nie einen Krieg erlebt und ken­nen die Aus­wir­kun­gen mili­tä­ri­scher Maß­nah­men besten­falls aus den Erzäh­lun­gen der Groß­el­tern. Viel­leicht soll­ten sich jene, die so groß­zü­gig Waf­fen ver­schen­ken und auf­rü­sten wol­len, in einer stil­len Stun­de mit den Aus­wir­kun­gen von Kern­waf­fen beschäf­ti­gen. Der Film »Hiro­shi­ma mon amour« bie­tet sich dafür an.

Wie konn­te es dazu kom­men, dass eine aus der Frie­dens- und Abrü­stungs­be­we­gung ent­stan­de­ne Par­tei zur poli­ti­schen Speer­spit­ze der Nato wur­de? Wie kann es sein, dass man sich von einem Land die Poli­tik dik­tie­ren lässt, das weit hin­ter dem Atlan­tik liegt und alles ande­re als euro­päi­sche Inter­es­sen ver­folgt? Ein­zig die ehe­ma­li­ge Vize­prä­si­den­tin Ant­je Voll­mer scheint gegen den bel­li­zi­sti­schen Virus immun zu sein und bewahrt in die­sen Zei­ten einen küh­len Kopf: »Wir haben uns einem trans­at­lan­ti­schen Über-Ich ange­nä­hert und haben die Chan­cen, die eine ver­mit­teln­de Posi­ti­on zum Osten inne­hat­te, ver­tan. Ich glau­be nicht, dass das nach so vie­len Jah­ren der Irri­ta­ti­on und der Krän­kung so leicht wie­der rück­gän­gig zu machen ist. (…) Das Kern­pro­blem unse­rer Zukunft ist: Wol­len wir wirk­lich zulas­sen – und das deu­tet sich ja gera­de an –, dass es geo­po­li­tisch zu einem neu­en, ver­schärf­ten Kal­ten Krieg mit fester Block­for­ma­ti­on kommt?«

Lei­der wer­den mit täti­ger Hil­fe der Grü­nen gera­de alle Brücken, die den Frie­den in Euro­pa bewah­ren könn­ten, abge­ris­sen. Ob die Wäh­ler­schaft der Grü­nen das lang­fri­stig hono­riert, sei dahin­ge­stellt. Mag sein, dass es irgend­wann mal, wie ehe­dem bei der SPD, eine neue Par­tei geben wird die sich dann viel­leicht »Unab­hän­gi­ge Grü­ne« nennt. Falls es Euro­pa dann noch gibt.