Grün ist eine hervorragende Tarnfarbe. Vor vielen Jahren war diese Couleur als politische Konnotation noch frei verfügbar, eine paar umweltbewegte Friedensaktivisten griffen zu, die alternativ-ökologische Partei war geboren. Die grüne Gruppierung war von Anfang an sehr heterogen, es gab sowohl den Bio-Bauer Baldur Springmann, den man heute der rechtsradikalen Siedlerbewegung zuordnen würde, als auch etliche Kader aus den in Auflösung befindlichen maoistischen Gruppierungen wie Jürgen Trittin, Ralf Fücks oder Krista Sager. 1983 gelang den Grünen der Einzug in den Bundestag. Es war die große Zeit der Friedensbewegung. Aufgrund des Nato-Doppelbeschlusses wurden in Deutschland die ersten Atomraketen vom Typ »Pershing« stationiert, am Standort Mutlangen gab es Sitzblockaden, an denen sich viele Grüne beteiligten.
Prominente Vertreterin war damals Petra Kelly. Sie verkörperte in den ersten Jahren die Anti-Atomkraftbewegung und die Friedensbewegung. Sie hätte es vorgezogen, dass die Grünen eine »Anti-Parteien-Partei« geblieben wären und verfolgte die immer mehr zu Tage tretenden Grabenkämpfe in den Parteigremien mit großem Misstrauen: »Die Sozialdemokratisierung der Grünen schreitet voran. Wenn das so weitergeht, frage ich mich: Wozu denn noch eine grüne Partei? (…) Viele sehen darin den Ausdruck eines Reifungsprozesses. Wieso ist es ein Zeichen von Reife, wenn eine Partei ihre Identität und ihr Profil preisgibt?«
1991 lehnte man ihre Kandidatur als Sprecherin des Bundesvorstands ab, nur noch 30 Prozent stimmten für sie. Die kämpferische Idealistin war für die immer stärker werdenden »Realos« zum Störfaktor auf dem Weg in die bundesrepublikanische Realität geworden.
Was die Grünen einmal darstellten, zeigt der unlängst erschienene Film »Die Unbeugsamen« von Torsten Körner. Eigentlich geht es da um jene mutigen Frauen, die in Parlament und Regierung für ihre Rechte kämpfen, aber erst die grünen Frauen haben diesem Anliegen durch leidenschaftliche Redebeiträge zum Durchbruch verholfen. Vor allem der legendäre Auftritt von Waltraud Schoppe brachte das männliche geprägte »Hohe Haus« seinerzeit zum Kochen. Das alles ist freilich lange her.
Mit der ersten Regierungsbeteiligung unter Gerhard Schröder wurde die Partei 1998 im bürgerlichen Sinne salonfähig. Der grüne Außenminister Fischer trug keine Turnschuhe mehr und zog die Friedenspartei in den Nato-Krieg gegen Serbien, verkaufte den staunenden Delegierten auf dem Parteitag den Kosovo als neues Auschwitz. Den Außenminister kostete es ein geplatztes Trommelfell und die Partei ein paar Austritte, doch die Mehrheit stimmte für den völkerrechtswidrigen Kampfeinsatz. Zu wenige wollten die gerade errungene Regierungsmehrheit gefährden, es ging darum, endlich mitzuregieren. Längst hatten die Realos die Macht übernommen, die verbliebenen »Fundis« wurden mit unbedeutenden Posten abgefunden oder emigrierten nach innen. Dafür durften die Grünen fast acht Jahre beim Regieren mitmachen, aber geblieben ist im Wesentlichen das Flaschenpfand. Die zwei Legislaturperioden haben allerdings ausgereicht, die Regeln im bundesdeutschen Politsalon eingehend zu studieren und zu übernehmen. Vor allem die ehemaligen Kader von KBW und KB haben schnell begriffen, wie lukrativ Parteikarrieren sein können, wenn man die Spielregeln kennt – und einhält.
Auf der anderen Seite des Atlantiks scheint man schnell erkannt zu haben, dass die deutschen Grünen ihren Pazifismus eher pragmatisch begreifen und für Avancen empfänglich sind. Die Außenministerin Madeleine Albright konnte ihren deutschen Kollegen bald von den Vorzügen einer transatlantischen Partnerschaft überzeugen, wenngleich sie ihm eine deutsche Beteiligung am Irakfeldzug nicht schmackhaft machen konnte. Die Karriere des einstigen Frankfurter Straßenkämpfers zum Außenminister und schließlich zum steinreichen Gastredner und Aufsichtsrat in etlichen Vorständen war anscheinend für viele grüne Funktionsträger Vorbild und Ansporn. So findet man viele ehemalige und aktuelle Führungspersönlichkeiten in diversen US-dominierten Denkfabriken und Instituten, die dem wertebasierten Westen huldigen. Ralf Fücks und Marieluise Beck haben 2017 ihren eigenen »thinktank«: Zentrum Liberale Moderne gegründet und stehen für enge transatlantische Beziehungen und heftige Gegnerschaft zu Russland. Seit 2019 erhält das Zentrum auch Gelder aus dem Bundeshaushalt. »Unser grüner Mann gegen China« ist der Europa-Abgeordnete Reinhard Bütikofer, gut vernetzt im Europa/Transatlantik-Beirat und als Mitglied im Vorstand des Aspen-Instituts.
Auf Länderebene ist der dringende Wunsch zur Regierungsmacht noch ausgeprägter. Keiner spielt die Rolle eines CDU-Landesvaters so gut und erfolgreich wie der grüne Altmaoist Winfried Kretschmann. In Hessen wirft der stellvertretende Ministerpräsident Al-Wazir fast alle grünen Prinzipien über Bord, um die Koalition mit der CDU nicht zu gefährden.
Konvertiten wird nachgesagt, dass sie ihre ehemaligen Überzeugungen besonders radikal in Frage stellen, um im neuen Lager akzeptiert zu werden. Für die Vertreter des ehemals grünlinken Flügels trifft das sicherlich in den meisten Fällen zu. Seit dem Krieg in der Ukraine sind auch die letzten halbwegs Aufrechten umgekippt. Jürgen Trittin will zwar Saudi-Arabien keine Waffen mehr liefern, der Ukraine aber sehr wohl. Anton Hofreiter, die wohl prominenteste Figur des linken Flügels, hat eine 180-Grad-Wendung hingelegt und ist zum strammen Nato-Anhänger konvertiert. Die dritte Generation der Grünen ist vollends ins Olivgrüne changiert. Pflugscharen werden wieder zu Schwertern, die Devise heißt nun »Frieden schaffen mit schweren Waffen«, die grüne Außenministerin freut sich auf die Sanktionen: »Das wird Russland ruinieren«, und der Vizekanzler und Wirtschaftsminister spricht anlässlich der Ostermärsche vom Pazifismus als einem »fernen Traum«. Die jungen Expazifisten haben noch nie einen Krieg erlebt und kennen die Auswirkungen militärischer Maßnahmen bestenfalls aus den Erzählungen der Großeltern. Vielleicht sollten sich jene, die so großzügig Waffen verschenken und aufrüsten wollen, in einer stillen Stunde mit den Auswirkungen von Kernwaffen beschäftigen. Der Film »Hiroshima mon amour« bietet sich dafür an.
Wie konnte es dazu kommen, dass eine aus der Friedens- und Abrüstungsbewegung entstandene Partei zur politischen Speerspitze der Nato wurde? Wie kann es sein, dass man sich von einem Land die Politik diktieren lässt, das weit hinter dem Atlantik liegt und alles andere als europäische Interessen verfolgt? Einzig die ehemalige Vizepräsidentin Antje Vollmer scheint gegen den bellizistischen Virus immun zu sein und bewahrt in diesen Zeiten einen kühlen Kopf: »Wir haben uns einem transatlantischen Über-Ich angenähert und haben die Chancen, die eine vermittelnde Position zum Osten innehatte, vertan. Ich glaube nicht, dass das nach so vielen Jahren der Irritation und der Kränkung so leicht wieder rückgängig zu machen ist. (…) Das Kernproblem unserer Zukunft ist: Wollen wir wirklich zulassen – und das deutet sich ja gerade an –, dass es geopolitisch zu einem neuen, verschärften Kalten Krieg mit fester Blockformation kommt?«
Leider werden mit tätiger Hilfe der Grünen gerade alle Brücken, die den Frieden in Europa bewahren könnten, abgerissen. Ob die Wählerschaft der Grünen das langfristig honoriert, sei dahingestellt. Mag sein, dass es irgendwann mal, wie ehedem bei der SPD, eine neue Partei geben wird die sich dann vielleicht »Unabhängige Grüne« nennt. Falls es Europa dann noch gibt.