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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ehrenbürger und andere

Der Regie­ren­de Bür­ger­mei­ster Mül­ler habe die Strei­chung Paul v. Hin­den­burgs aus der Ehren­bür­ger­li­ste Ber­lins ver­an­lasst, ver­laut­bar­te die Senats­kanz­lei. Am 30. Janu­ar hat­te das Abge­ord­ne­ten­haus mit rot-rot-grü­ner Mehr­heit ent­spre­chend ent­schie­den. Als dama­li­ger Reichs­prä­si­dent habe Hin­den­burg Adolf Hit­ler am 30. Janu­ar 1933 zum Reichs­kanz­ler beru­fen, anschlie­ßend Not­ver­ord­nun­gen und Geset­ze unter­zeich­net, die den Reichs­tag ent­mach­te­ten und den Nazis neue Macht­mit­tel in die Hand gaben.

Eine gute, längst über­fäl­li­ge Ent­schei­dung, die aber auch zu kri­ti­schen Anmer­kun­gen herausfordert.

Bei den Ber­li­ner Stra­ßen­na­men steht der Hin­den­burg­damm wohl (noch) nicht zur Debat­te. Bay­reuth, Bre­men, Frei­burg, Han­no­ver, Mainz und Trier (unter ande­ren) hat­ten bis­her eben­falls kein Pro­blem mit dem Namen des kai­ser­li­chen Steig­bü­gel­hal­ters für Hitler.

Aachen, Mün­chen, Frank­furt am Main und Heil­bronn dage­gen tilg­ten ihn bereits ab 1945/​48. Die Stadt­vä­ter waren klü­ger geworden.

Wer nach Sylt reist, fährt über den soge­nann­ten Hin­den­burg­damm. Immer noch. Der Namens­pa­tron eröff­ne­te ihn am 1. Juni 1927. Initia­ti­ven für eine ande­re Bezeich­nung gab es nach 1945 immer wie­der. Ver­ge­bens. Wen wundert‘s? In Wester­land, wo die Bahn­strecke endet, konn­te von 1951 bis 1964 ein gewis­ser Heinz Rei­ne­farth Bür­ger­mei­ster sein. Er war mit den Stim­men von CDU und dem Bund der Hei­mat­ver­trie­be­nen und Ent­rech­te­ten ins Rat­haus gekom­men. Die AfD gab es ja damals noch nicht.

Der ehe­ma­li­ge Gene­ral­leut­nant der Waf­fen-SS und Poli­zei leb­te auf der Insel der Rei­chen und Schö­nen unbe­hel­ligt, obwohl er seit 1944 in Polen als „Hen­ker von War­schau« galt und für die Mas­sa­ker bei der Nie­der­schla­gung des War­schau­er Auf­stan­des ver­ant­wort­lich war. Allein im Stadt­teil Wola wur­den 20.000 bis 50.000 Zivi­li­sten erschos­sen. Die­ser Kriegs­ver­bre­cher konn­te gar noch 1958 Abge­ord­ne­ter des Schles­wig-Hol­stei­ni­schen Land­ta­ges werden.

Die DEFA hat­te 1957 mit dem Film »Urlaub auf Sylt« Rei­ne­farths Ver­gan­gen­heit the­ma­ti­siert – selbst­ver­ständ­lich in der Alt­bun­des­re­pu­blik wahr­heits­wid­rig als kom­mu­ni­sti­sche Pro­pa­gan­da abgetan.

Zwar zwan­gen fol­gen­lo­se staats­an­walt­li­che Ermitt­lun­gen und öffent­li­cher Druck im Land­tag die­sen »Ehren­mann«, Land­tags­man­dat und Bür­ger­mei­ster­amt zu quit­tie­ren, trotz­dem wur­de er im Rechts­staat Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ganz rechts­staat­lich als Rechts­an­walt zuge­las­sen. Der zustän­di­gen Anwalts­kam­mer reich­te es offen­bar, dass der Antrag­stel­ler erklär­te, er bekämp­fe die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung in kei­ner Wei­se. Oder was sonst auf die­se Wei­se abge­fragt wurde.

Im Juli 2014 end­lich bedau­er­te der Land­tag von Schles­wig-Hol­stein offi­zi­ell und öffent­lich, »dass es nach 1945 in Schles­wig-Hol­stein mög­lich wer­den konn­te, dass ein Kriegs­ver­bre­cher Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter wird«. Die heu­ti­ge Gemein­de Sylt stell­te sich gleich­falls der Ver­gan­gen­heit des ehe­ma­li­gen Bür­ger­mei­sters von Westerland.

Zurück nach Ber­lin. Dort gab es – das sei anzu­mer­ken – nach 1945 zwei­er­lei Ehren­bür­ger­schaf­ten: eine im Sowje­ti­schen Sek­tor, der spä­te­ren Haupt­stadt der DDR, und die ande­re in den West­sek­to­ren der vier­ge­teil­ten Stadt. Dort hat­ten Ame­ri­ka­ner, Bri­ten und Fran­zo­sen sowie das Abge­ord­ne­ten­haus mit dem Regie­ren­den Bür­ger­mei­ster das Sagen.

1948 konn­te daher in Ber­lin-W dem ehe­ma­li­gen Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­ten und spä­te­ren Prä­si­den­ten der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik, Wil­helm Pieck, die 1946 ver­lie­he­ne Ehren­bür­ger­schaft wie­der aberkannt wer­den. Der Kal­te Krieg schrieb die ersten Kapitel.

Nach den Sonn­tags­re­den über die Wie­der­ver­ei­ni­gung wur­den ab 1990 ehe­ma­li­ge Ehren­bür­ger in Ber­lin-O »auf­ge­ar­bei­tet«. Begrün­det in der Kal­te­kriegs­po­li­tik West.

Zu den Geschass­ten gehör­te Gene­ral­oberst Niko­lai Ber­sa­rin. Die nach ihm benann­te Stra­ße zwi­schen Lands­ber­ger Allee und Frank­fur­ter Tor war bereits 1991 flugs umbe­nannt wor­den. Die 1975 post­hum ver­lie­he­ne Ehren­bür­ger­schaft wur­de 1992 bei der Zusam­men­füh­rung bei­der Listen nicht über­nom­men. Der Befehls­ha­ber der 5. sowje­ti­schen Stoß­ar­mee, die am 21. April 1945 in Mar­zahn als erste die Stadt­gren­ze erreicht hat­te, war in rus­si­scher Mili­tär­tra­di­ti­on Stadt­kom­man­dant gewor­den. Mit sei­nem Befehl Num­mer 1 vom 28. April 1945 ging die ver­wal­tungs­mä­ßi­ge und poli­ti­sche Macht auf die Stadt­kom­man­dan­tur über. Deut­sche Beam­te, Ange­stell­te und Arbei­ter wur­den zum Ver­bleib an ihren Arbeits­stät­ten und zur sofor­ti­gen Wie­der­auf­nah­me aller Ver­sor­gungs­tä­tig­kei­ten auf­ge­for­dert. Den Ange­hö­ri­gen der Roten Armee unter­sag­te Ber­sa­rin jede irre­gu­lä­re Hand­lung. Seit 2003 wird Niko­lai Ber­sa­rin wie­der als Ehren­bür­ger geführt. Der Makel bun­des­deut­scher und Ber­li­ner Geschichts­re­vi­si­on bleibt. Vie­len ande­ren bleibt die Ehren­bür­ger­schaft fort­dau­ernd aberkannt.

Michail Jego­row und Meli­ton Kant­a­ri­ja zum Bei­spiel. Sie gehör­ten zu den Sol­da­ten der Roten Armee, die den Reichs­tag erober­ten und am 30. April 1945 gegen 23 Uhr die ihnen über­ge­be­ne rote Fah­ne hiss­ten. Der sowje­ti­sche Schrift­stel­ler Was­si­li Sub­bo­tin hat die­se Epi­so­de als ehe­ma­li­ger Front­kor­re­spon­dent einer Divi­si­ons­zei­tung in »Wir stürm­ten den Reichs­tag« (Mili­tär­ver­lag der DDR 1980) festgehalten.

Es geht wohl über den Hori­zont von Poli­ti­kern, sich der Histo­rie nicht nur in Ber­lin mit mensch­li­chem Anstand zu stel­len und sie nicht nur ein­äu­gig zu betrachten.

Die »Tru­man-Pla­za« in Ber­lin-Zehlen­dorf wäre in die­sem Kon­text anzu­füh­ren. Har­ry S. Tru­man befahl als Prä­si­dent der USA die Atom­bom­ben­ab­wür­fe auf Hiro­shi­ma und Naga­sa­ki – ein unsäg­li­cher Massenmord.

Ehre, wem Ehre gebührt. Nicht jeder Geehr­te ist aller Ehren wert. Nicht jeder Geschass­te unwür­dig. Die Cau­sa Hin­den­burg & Co. zeigt es ein­mal mehr.