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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wer den Pranger überlebt …

Obwohl Diet­her Dehm dem lin­ken und der baye­ri­sche CSU-Mann Peter Gau­wei­ler dem rech­ten poli­ti­schen Lager ange­hört, sind sie befreun­det. Ein tie­fe­rer Grund mag dar­in lie­gen, dass bei­de den im Poli­tik­be­trieb herr­schen­den Zynis­mus ver­ab­scheu­en und mit offe­nem Visier jede Kriegs­po­li­tik ableh­nen. Weil sie öfter mal aus der Rei­he tan­zen, gel­ten sol­che Poli­ti­ker in ihren eige­nen Par­tei­en oft als eben­so gefähr­lich wie bei ihren Geg­nern. Aus­tra­gungs­or­te der dar­aus erwach­sen­den Kämp­fe sind auch die Medi­en, die sich einen deli­ka­ten Sport nicht nur dar­aus machen, das Ver­hal­ten sol­cher Dis­si­den­ten zu skan­da­li­sie­ren, son­dern auch eige­ne Intri­gen spin­nen. Sowohl Dehm als auch Gau­wei­ler haben trotz etli­cher Tief­schlä­ge nicht auf­ge­ge­ben. »Wer den Pran­ger über­lebt, lebt bes­ser als man­che, die ihn ange­ket­tet haben«, schrieb Gau­wei­ler Dehm ins Vor­wort sei­nes auto­bio­gra­phi­schen Buches über die zahl­rei­chen, sei­ne poli­ti­sche Lauf­bahn säu­men­den Skan­da­le. Es bie­tet tie­fe Ein­blicke vor allem in die Spal­tun­gen des breit gefä­cher­ten poli­ti­schen Lagers, das sich als links bezeichnet.

Das wich­tig­ste Über­le­bens­eli­xier am Pran­ger ist bekannt­lich Humor, über den Dehm reich­lich ver­fügt. Als elo­quen­tes und wit­zi­ges poli­ti­sches Talent von den 68ern und SPD-nahen Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen sowie den Gewerk­schaf­ten ent­deckt, wur­de er schon damals auch schärf­stens bekämpft, weil er eher mit Kom­mu­ni­sten als mit Trotz­ki­sten und rech­ten SPD­lern zusam­men­ar­bei­te­te. Auch aus sei­ner Zuge­hö­rig­keit zur Sta­mo­kap-Grup­pe erwuchs ihm Feind­schaft. Bei man­geln­dem Anti­kom­mu­nis­mus und schar­fen Angrif­fen auf die an Nazi­ver­bre­chen mit­schul­di­ge Deut­sche Bank hör­te und hört in der BRD jeder Spaß auf.

Spaß ver­schaff­te sich Dehm aber stets auch selbst mit sei­ner zwei­ten, künst­le­ri­schen Iden­ti­tät. Er trat als Imi­ta­tor von Poli­ti­kern auf, schrieb für renom­mier­te Sati­ri­ker Fern­seh­sen­dun­gen, dich­te­te berühm­te Schla­ger wie »Tau­send­mal berührt«. Von ihm stammt der Text der alten SPD-Hym­ne »Das wei­che Was­ser bricht den Stein« und von »Aufsteh´n« für die Bots. Dar­über hin­aus hat er etli­che, zeit­wei­lig poli­tisch enga­gier­te Grö­ßen des Kul­tur­be­triebs gema­nagt, dar­un­ter Klaus Lage, Kat­ja Ebstein, Kata­ri­na Witt, Anne Hai­gis, die Bots und Wolf Biermann.

Dehm legt an etli­chen Bei­spie­len dar, wie es zum selt­sa­men Zusam­men­wir­ken zwi­schen rech­ten Poli­ti­kern, der Pres­se bis hin zur – ehe­mals als links gel­ten­den – Frank­fur­ter Rund­schau und Mit­strei­tern an der ver­meint­lich noch gemein­sa­men lin­ken Front kam. Eine Epi­so­de betrifft das 1980 von ihm gema­nag­te zwei­te »Rock gegen Rechts«-Festival. Es kam zu einer regel­rech­ten Büh­nen­schlacht, weil Dani­el Cohn-Ben­dit ver­hin­dern woll­te, dass Peter Gin­gold, KZ-Über­le­ben­der und DKP-Mit­glied, eine Anspra­che hielt, um statt­des­sen Appel­le von Haus­be­set­zern durchzusetzen.

Als Dehm 1990 als Bun­des­tags­kan­di­dat der SPD in Frank­furt am Main nomi­niert war, erschien im US-Maga­zin For­bes eine kur­ze Mel­dung, er wer­de dem­nächst als Ost-Spi­on ent­tarnt. Obwohl kein schlüs­si­ger Beweis vor­lag, führ­te das nicht nur dazu, dass die CDU-Gegen­kan­di­da­tin Eri­ka Stein­bach, die spä­te­re Bun­des­vor­sit­zen­de der Ver­trie­be­nen, ihn auf­for­der­te, die Kan­di­da­tur nie­der­zu­le­gen, son­dern auch Tei­le der eige­nen Par­tei. Ver­sorgt mit Leih­stim­men der Grü­nen – wohin­ter laut Dehm eine Intri­ge Josch­ka Fischers stand – gewann Stein­bach den Wahl­kreis. Die Sta­si-Legen­de wur­de 1996 rel­oa­ded, nach­dem Bier­mann etli­che Jah­re nach dem legen­dä­ren, von Dehm 1976 gema­nag­ten Kon­zert in Dort­mund, öffent­lich erklär­te, Dehm habe nach sei­ner Aus­bür­ge­rung der Sta­si Infor­ma­tio­nen über sei­ne, Bier­manns Akti­vi­tä­ten in der Bun­des­re­pu­blik, zuge­spielt. Dass es neben zwei­fel­haft zusam­men­ge­stop­pel­ten angeb­li­chen Bewei­sen aus der Gauck-Behör­de dort eine zwei­fels­freie, im Jahr 1978 begin­nen­de Opfer­ak­te gab, weil Dehm im Namen west­deut­scher Künst­ler dem Staats­rats- und SED-Polit­bü­ro­mit­glied Kurt Hager eine Pro­test­no­te gegen Bier­manns Aus­bür­ge­rung über­ge­ben hat­te und seit­dem in der DDR zur Fahn­dung aus­ge­schrie­ben war, inter­es­sier­te die ein­zig am Ruf­mord inter­es­sier­te Pres­se nicht. Unbe­ach­tet blieb auch, dass das von drei Frank­fur­ter Orts­ver­ei­nen der SPD anbe­raum­te Par­tei­aus­schluss­ver­fah­ren wegen feh­len­der Bewei­se ein­ge­stellt wurde.

Als unter der Füh­rung sei­nes Genos­sen Ger­hard Schrö­der, in des­sen Umfeld es etli­che enga­gier­te Sta­mo­kaps gab, klar wur­de, dass die SPD einen wei­te­ren schar­fen Rechtsd­rall erhielt, trat Dehm 1998 zur PDS über, wo er meh­re­re Lei­tungs­funk­tio­nen inne­hat­te. Noch immer sitzt er im Bun­des­tag für die Links­par­tei. Auch hier galt und gilt er vie­len als unbe­quem, vor allem weil er Sahra Wagen­knecht unter­stütz­te. Auch hier hat­te er Aus­schluss­ver­fah­ren durch­zu­ste­hen, die er jedoch bis heu­te eben­falls überstand.

Das Buch ent­hält vie­le Scans der unsäg­li­chen Pres­se­at­tacken gegen Dehm, wei­te­re kön­nen auf der Web­site des Ver­lags bestaunt wer­den. Die Bild-Zei­tung war sogar einem Roman der taz-Redak­teu­rin Elke Schmit­ter gefolgt und hat­te Dehm des Pro­sti­tu­ier­ten­mords ver­däch­tigt. Der Skan­dal­um­wit­ter­te muss­te sich oft vor Gericht ver­ant­wor­ten bezie­hungs­wei­se Gerich­te anru­fen, um den gegen ihn in Gang gesetz­ten Kam­pa­gnen ent­ge­gen­zu­tre­ten. Da gerichts­kräf­ti­ge Demen­tis nicht oder nur klein­laut publik wur­den, blieb von dem angeb­li­chen Sün­den­re­gi­ster im öffent­li­chen Bewusst­sein eini­ges hän­gen. Damit muss Dehm leben. Rich­tig mögen ihn fast nur ähn­li­che Skan­dal­nu­deln wie Peter Gau­wei­ler, die in der Lage sind, mit Angrif­fen, woher sie auch immer kom­men, offen­siv umzugehen.

Die Lek­tü­re ist eben­so auf­rüt­telnd wie kurzweilig.

 

Diet­her Dehm: »Mei­ne schön­sten Skan­da­le. Von Ruf- und ande­ren Mor­den«, Das Neue Ber­lin, 256 Sei­ten, 20 €