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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Entlastung der Täter

Am 11. Novem­ber konn­te man das soge­nann­te Frie­dens­kon­zert der Wie­ner Phil­har­mo­ni­ker aus Ver­sailles im Radio hören, auf NDR Kul­tur. Selt­sa­me Töne gab es jedoch in der Mode­ra­ti­on. Da wur­de vom Ersten Welt­krieg wie­der­holt als von einer »Tra­gö­die« gespro­chen. Doch war die­ser Krieg ein Schau­spiel, war er unaus­weich­lich, ist er auf ein Schei­tern zurück­zu­füh­ren? Gab es schei­tern­de Hel­den? Fehl­an­zei­ge. Kei­nes der wesent­li­chen Merk­ma­le einer Tra­gö­die ist erkennbar.

Kein unent­rinn­ba­res Ver­häng­nis also, son­dern bekannt­lich ein gro­ßes Ver­bre­chen, das mit den Kriegs­er­klä­run­gen Öster­reich-Ungarns an Ser­bi­en (28.7.1914) und des Deut­schen Kai­ser­rei­ches an Russ­land (1.8.) und an Frank­reich (3.8.) begon­nen wur­de und durch die Ver­let­zung der Neu­tra­li­tät Bel­gi­ens auch Groß­bri­tan­ni­en hin­ein­zog. Spä­te­stens in den Mas­sen­er­schie­ßun­gen bel­gi­scher Zivi­li­sten und der Brand­schat­zung von Leu­ven ent­hüll­te sich der Cha­rak­ter der deut­schen Kriegs­füh­rung zur Kenntlichkeit.

Gekrönt wur­de die Mode­ra­ti­on schließ­lich von der For­mu­lie­rung, als Fol­ge des Frie­dens­ver­tra­ges von Ver­sailles »kam es zum Zwei­ten Welt­krieg«. Der Krieg ein Natur­er­eig­nis ohne Subjekt?

Wer also war für die­sen hane­bü­che­nen Mode­ra­ti­ons­text ver­ant­wort­lich? Auf­schluss gab eine Mail an den NDR, wei­ter­ge­lei­tet an hr2 kul­tur. Ant­wort von dort: Der Text sei von der Euro­pean Broad­ca­sting Uni­on (EBU) ver­fasst und ins Deut­sche nur über­setzt wor­den. Ver­ant­wort­lich ein Bri­te, der vor­her bei der BBC war.

Da haben also höf­li­che Men­schen bei der EBU eine gegen­über den Kriegs­ver­ur­sa­chern ver­söhn­li­che Mode­ra­ti­on geschrie­ben – und nach der Über­set­zung kommt ein Text her­aus, der in Deutsch­land und Öster­reich der Selbst­recht­fer­ti­gung der für die­sen Krieg ver­ant­wort­li­chen Staa­ten und ihrer dama­li­gen Herr­scher dient nach dem Mot­to: »Jetzt ist Frie­den, und Schwamm über die Schuld­fra­ge.« Wie über­aus bequem für die ARD, sich hin­ter der EBU ver­stecken zu kön­nen – und nicht genö­tigt zu sein, eine eige­ne Mode­ra­ti­on zu ver­fas­sen, die der deut­schen Ver­ant­wort­lich­keit für die­sen Krieg ange­mes­sen Rech­nung trüge!

Muss noch ange­merkt wer­den, dass in Ver­sailles am 11.11.2018 zwar Wer­ke von öster­rei­chi­schen, deut­schen, eng­li­schen, fran­zö­si­schen und US-ame­ri­ka­ni­schen Kom­po­ni­sten auf­ge­führt wur­den, aber rus­si­sche oder gar ser­bi­sche Kom­po­ni­sten kei­ne Berück­sich­ti­gung fan­den? Fest­li­che Ver­söh­nung unter heu­ti­gen NATO/EU-Part­nern – und für die ersten Ange­grif­fe­nen des Krie­ges ist kein Platz auf der Agen­da. Honi soit qui mal y pense?