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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Mysteriöser Kistenfund – Rettung für Abu-Jamal?

Seit 37 Jah­ren sitzt Mumia Abu-Jamal in Gefäng­nis­sen von Penn­syl­va­nia, 29 Jah­re davon hat er in einem Todes­trakt ver­bracht. Vor­ge­wor­fen wird ihm ein Poli­zi­sten­mord, den er jedoch bestrei­tet und der nie ein­deu­tig bewie­sen wer­den konn­te. Obwohl zwei­mal ter­mi­niert, wur­de die Todes­stra­fe letzt­lich nicht voll­streckt. Es gab zu vie­le Hin­wei­se, dass es wäh­rend des Pro­zes­ses und der Beru­fungs­ver­fah­ren Mani­pu­la­tio­nen gege­ben hat, die größ­ten­teils von der Poli­zei­ge­werk­schaft gesteu­ert waren. Das legt nahe, dass Abu-Jamal, der am Beginn einer erfolg­rei­chen Radio­jour­na­li­sten­kar­rie­re stand, aus poli­ti­schen und ras­si­sti­schen Grün­den im wahr­sten Sin­ne des Wor­tes mund­tot gemacht wer­den soll­te. Das ist nicht gelun­gen, denn er hat sei­ne poli­tisch-ana­ly­ti­sche Arbeit in der Haft fort­ge­setzt. Dass mitt­ler­wei­le die Chan­cen gestie­gen sind, den cha­ris­ma­ti­schen afro­ame­ri­ka­ni­schen Intel­lek­tu­el­len aus der Haft zu befrei­en, ist einer brei­ten, inter­na­tio­nal ver­netz­ten anti­ras­si­sti­schen Bewe­gung zu verdanken.

Das Jahr 2018 ende­te mit einer Sen­sa­ti­on. Seit dem 27. Dezem­ber ist es amt­lich: Revi­si­ons­kon­troll­rich­ter Leon Tucker gab Mumia Abu-Jamals Antrag auf die Zulas­sung eines – juri­stisch über vie­le Jah­re nicht mög­li­chen – Beru­fungs­ver­fah­rens statt. Ein neu­es Gesetz eröff­net die Mög­lich­keit für erneu­te Beru­fun­gen in Fäl­len, in denen ein Mit­glied des Beru­fungs­ge­richts an frü­he­ren Ver­fah­ren im sel­ben Fall betei­ligt war. Genau das traf für die Cau­sa Abu-Jamal zu. Rich­ter Tucker bestä­tig­te, dass die unter Mit­wir­kung Ronald Castil­les erfolg­te Ableh­nung von Beru­fungs­ver­fah­ren in den 1990er Jah­ren nicht rech­tens war. Ronald Castil­le, der zuvor im Haupt­pro­zess gegen Abu-Jamal als Chef­an­klä­ger fun­gier­te, hat­te spä­ter als Ober­ster Rich­ter vom Ober­sten Gericht Penn­syl­va­ni­as unter ande­rem auch Beru­fungs­an­trä­ge von Abu-Jamal abge­lehnt. Er habe als damals befan­gen zu gel­ten, Des Wei­te­ren monier­te Tucker, dass die Staats­an­walt­schaft von Phil­adel­phia sich bis jetzt immer wie­der unfä­hig oder unwil­lig gezeigt habe, von ihm gefor­der­te Akten zum Fall Abu-Jamal zur Ver­fü­gung zu stel­len. Angeb­lich waren vie­le Akten ver­lo­ren gegangen.

Und nun das: Am 3. Janu­ar teil­te die Bezirks­staats­an­walt­schaft von Phil­adel­phia Rich­ter Tucker mit, dass man – auf der Suche nach ver­wend­ba­rem Mobi­li­ar! – einen schwer zugäng­li­chen Raum durch­forscht habe und dort auf sechs Kisten gesto­ßen sei, auf denen in unter­schied­li­chen Vari­an­ten der Name Mumia Abu-Jamals stehe.

Es mutet schon selt­sam an, dass Kisten mit Akten zu Abu-Jamals Fall in einem »inac­ce­s­si­ble room« geschmort haben sol­len und aus­ge­rech­net eine Woche nach Tuckers Rich­ter­spruch ent­deckt wer­den. Zunächst möch­te man schlicht anneh­men, dass es der hart­näcki­gen Unter­stüt­zer­be­we­gung Abu-Jamals gelun­gen sei, die har­te Nuss, als die sich die Bezirks­staats­an­walt­schaft von Phil­adel­phia über Jahr­zehn­te erwie­sen hat­te, zu knacken. Aber Vor­sicht! Außer der Nach­richt, dass die Kisten Mate­ria­li­en aus der Zeit vor dem Jahr 2000 ent­hal­ten sol­len, ist Genaue­res über ihren Inhalt noch nicht bekannt. Auch ist nicht aus­ge­schlos­sen, dass sie mani­pu­lier­tes und all­zu lücken­haf­tes Mate­ri­al ent­hal­ten. Aber allein ihr »Fund« kann den Behör­den­lei­ter der Bezirks­an­walt­schaft, Lar­ry Kras­ner, hof­fent­lich davon abbrin­gen, von sei­nem Recht Gebrauch zu machen, gegen Rich­ter Tuckers Ent­schei­dung Beru­fung ein­zu­le­gen, was er bis zum 27. Janu­ar tun kann. Das wür­de ein spä­te­res Beru­fungs­ver­fah­ren Abu-Jamals zwar noch nicht aus­schlie­ßen, aber in wei­te Fer­ne ver­schie­ben – was sei­ne Geg­ner, ins­be­son­de­re in der nach wie vor mäch­ti­gen Poli­zei­ge­werk­schaft, instän­dig hof­fen dürften.

Es war Annet­te Schiff­mann vom Bun­des­wei­ten Netz­werk gegen die Todes­stra­fe, die die auf­rüt­teln­den Neu­ig­kei­ten auf der dies­jäh­ri­gen 24. Rosa-Luxem­burg-Kon­fe­renz der jun­gen Welt bekannt geben konn­te. Wie in jedem Jahr hat­te Mumia Abu-Jamal selbst eine in der Haft­an­stalt Maha­noy in Frackville/​Pennsylvania auf­ge­nom­me­ne Audio-Gruß­bot­schaft an die Kon­fe­renz gerich­tet. Wie immer ging er mit kei­nem Wort auf sei­nen eige­nen Fall ein, son­dern gab ein aktu­el­les poli­ti­sches State­ment ab: Er begrüß­te die Gelb­we­sten­be­we­gung in Frank­reich, zeig­te sich skep­tisch gegen­über dem Brexit, der das Ver­ei­nig­te König­reich in ein wirt­schaft­li­ches Desa­ster brin­gen kön­ne, und warn­te vor welt­wei­ter Gefahr des Faschis­mus. Sie ver­grö­ße­re sich rasant, weil sich die Welt­wirt­schaft »im frei­en Fall« befin­de, was die Arbei­ter­klas­se und die unte­re Mit­tel­schich­ten extrem ver­un­si­che­re und Frem­den­feind­schaft und Ras­sis­mus näh­re. An Brechts berühm­te Defi­ni­ti­on anknüp­fend, erin­ner­te Abu-Jamal dar­an, dass der Faschis­mus kei­ne eigen­stän­di­ge For­ma­ti­on sei, son­dern eines der poli­ti­schen Werk­zeu­ge des Kapi­ta­lis­mus – was auch und gera­de für sei­ne aktu­el­le neo­li­be­ra­le Aus­for­mung gelte.

Damit Mumia Abu-Jamal nicht den Rest sei­nes Lebens in Haft bleibt und die Chan­ce einer Beru­fung mög­lichst bald nut­zen kann – appel­lie­ren Sie bit­te an den Bezirks­an­walt Lar­ry Kras­ner, kei­ne Beru­fung gegen Rich­ter Tuckers Urteil ein­zu­le­gen (E-Mail: DA_Central@phila.gov).