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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Von der Taube am Felsen

Und es begab sich zu der Zeit, als um das Häus­chen im Sau­er­land der Knö­te­rich zu wach­sen begann, der jedes Jahr höher ward und end­lich fast das gan­ze Haus so umzog und dar­über hin­aus­wuchs, dass kaum noch etwas, ja, selbst der Schorn­stein auf dem Dache nicht, zu sehen war. Es ging aber die Sage in dem Land von dem nicht immer schla­fen­den Häus­chen, dass von Zeit zu Zeit Leu­te kämen und durch das Hön­ne­tal und den Knö­te­rich zu dem Häus­chen vor­drän­gen. So war es dann auch an einem Wochen­en­de im Augu­sto des Jah­res der Men­schen 1982. Und sie­he da, der Knö­te­rich öff­ne­te sich, und es waren dort Blu­men an grü­nen Stän­geln und auch sol­che aus brau­nen Fla­schen in roten Kästen. Und die Son­ne schien, und nach einem lan­gen Spa­zier­gang durch die nahen Wäl­der tafel­ten die Leu­te auf der klei­nen Wie­se vor dem Häus­chen. Und der Knö­te­rich neig­te sei­ne Fang­ar­me über die Häup­ter der dis­ku­tie­ren­den Leu­te und streu­te sei­ne wei­ßen Blü­ten über sie, als wäre es denn der Lor­beer, der den Künst­lern gebüh­ren soll­te. Denn um sol­che han­del­te es sich, wenn auch kei­ner von ihnen sein Brot mit der­lei Tätig­kei­ten ver­die­nen konn­te, und sie sich alle ander­wei­tig zu unwür­di­gen Bedin­gun­gen in Knecht­schaft bege­ben muss­ten. Doch hat­ten sich etli­che von ihnen in einem Werk­statt-Bund zusam­men­ge­schlos­sen, um durch ihre Kunst auf aller­lei Miss­stän­de im Lan­de auf­merk­sam zu machen. Und es erwies sich, dass ein jeg­li­cher und eine jeg­li­che zu Hau­se flei­ßig gewe­sen war und sich Gedan­ken gemacht hat­te, wie denn nun eine künst­le­ri­sche Frie­dens­ak­ti­on gegen die dro­hen­de Ein­la­ge­rung von fürch­ter­li­chen Waf­fen in unse­rem Lan­de, wie sie eine mit den Mäch­ti­gen im Lan­de angeb­lich freund­schaft­lich ver­bun­de­ne Schutz­macht plan­te, aus­se­hen könn­te. Weil aber unse­re Freun­de und Freun­din­nen zwar Mut zum Träu­men hat­ten, um Kraft zum Kämp­fen zu erlan­gen, aber trotz alle­dem kei­ne welt­frem­den Träu­mer waren, hat­ten sie sich auch zwei (oder waren es gar drei?) des Berg­stei­gens kun­di­ge Leu­te mit­ge­bracht. Nach­dem nun alles weid­lich und aus­gie­big bespro­chen, dar­ge­legt und vor­be­rei­tet ward, bega­ben sich unse­re Leu­te – die Son­ne begann unter­zu­ge­hen und die Schat­ten des Knö­te­richs an der Haus­wand wur­den lang und län­ger – ins Inne­re des Häus­chens, ent­fach­ten ein gar lusti­ges Holz­feu­er und erfreu­ten sich der Hoff­nung auf eine fried­li­che Zukunft.

Kaum aber war die Son­ne end­gül­tig hin­ter dem Hori­zont ver­schwun­den und der Mond noch nicht auf­ge­gan­gen oder hin­ter Wol­ken­schlei­ern ver­bor­gen, kurz­um, der Nacht dun­kel­ste Stun­de ange­bro­chen, als ein geheim­nis­vol­les Tun und Trei­ben begann. Schat­ten­gleich ent­fern­ten sich Gestal­ten mit aller­lei Gerät und Far­ben von dem Häus­chen und kehr­ten erst im Mor­gen­grau­en erschöpft zurück. Die Daheim­ge­blie­be­nen hat­ten ihnen mit def­ti­gem Schin­ken und auch Wurst ein gewal­ti­ges Früh­stück berei­tet, so dass sie bald wie­der zu Kräf­ten kamen. Der­wei­len staun­ten Sonn­tags­fah­rer, Tou­ri­sten und Wochen­end­aus­flüg­ler nicht schlecht, als sie hoch an den stei­len Kalk­fel­sen des Hön­ne­tals, schier uner­reich­bar von unten und oben, eine gro­ße wei­ße Frie­dens­tau­be auf blau­em Unter­grun­de ent­deck­ten. Gar man­cher hielt ein Weil­chen an und mach­te Rast, um sich das Bild ein­zu­prä­gen oder in einer Kame­ra ein­zu­fan­gen. Die Son­ne zeig­te sich wie­der von ihrer besten Sei­te, und ruhig schweb­te die gro­ße wei­ße Tau­be über den Köp­fen der Men­schen, damit es fried­lich wer­de und blei­be im Lande.

Selbst in jener Han­se­stadt am Hell­we­ge, genannt Dort­mund, brach­ten es die Markt­schrei­er in ihren Blät­tern und kün­de­ten von dem Ereig­nis. Und die Hand­lan­ger der Mäch­ti­gen im Lan­de brauch­ten etli­che Wochen, um den Frie­den zu stö­ren und die fried­li­che Tau­be am hohen Fel­sen im Tal mit schwar­zer Far­be zu über­ma­len. Man sah aber lan­ge Jah­re noch das run­de Emblem als blei­ben­den Schat­ten auf der Felswand.

Doch das war viel spä­ter. Jet­zo prang­te sie in aller Far­ben­pracht und kün­de­te den Men­schen vom Frie­den. All­die­weil gaben sich unse­re Freun­de und Freun­din­nen dem Lab­sal des schäu­men­den Ger­sten­saf­tes hin. Und so wur­de denn in aller Freu­de gefei­ert, und sie leb­ten ver­gnügt bis ans Ende des Wochenendes.

Und noch viel spä­ter, wenn einer unse­re Freun­de oder eine unse­rer Freun­din­nen ein­mal wie­der durch das Hön­ne­tal fuhr, mit dem Auto oder der Eisen­bahn, konn­ten sie ent­decken, dass lang­sam die schwar­ze Far­be abblät­ter­te und die sieg­rei­che Frie­dens­tau­be wie­der zum Vor­schein kam. Was wegen vie­ler Din­ge, die im Hön­ne­tal und anders­wo gesche­hen sind und gesche­hen, sehr sinn­voll ist.