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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Satirischer Ausblick: Europa im Jahr 2019

Janu­ar: Prä­si­dent Macron ver­hängt das Kriegs­recht. Aus­nah­me­zu­stand ist ja schon gewe­sen, die Gel­ben Westen haben trotz­dem die Stra­ßen beherrscht. Jetzt fah­ren Pan­zer auf den Champs-Ély­sées und brin­gen die Schau­fen­ster-Schei­ben der Gran­de Nati­on zum Erzit­tern. Par­al­lel lässt Macron prü­fen, ob Warn­we­sten Pla­stik ent­hal­ten. Dann könn­te man sie zusam­men mit Wat­te­stäb­chen und Trink­hal­men ver­bie­ten las­sen. Das Aus­wär­ti­ge Amt gibt eine Rei­se­war­nung für Frank­reich heraus.

Febru­ar: Der Strom kur­di­scher Flücht­lin­ge aus den von der Tür­kei ange­grif­fe­nen nord­sy­ri­schen Gebie­ten nimmt zu und über­for­dert Grie­chen­land als Erst­auf­nah­me­land. Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel wür­de ger­ne Flücht­lin­ge auf­neh­men, sieht sich aber außer­stan­de, sie mit Flug­zeu­gen von Grie­chen­land aus ein­zu­flie­gen, weil die Flug­zeu­ge der Bun­des­wehr nicht funk­ti­ons­fä­hig sind. Und der Weg über die Bal­kan­rou­te ist gesperrt. Das Aus­wär­ti­ge Amt gibt eine Rei­se­war­nung für Grie­chen­land heraus.

März: Euro­pä­isch geson­ne­ne Bri­ten flie­hen mas­sen­wei­se von der Insel und bean­tra­gen Asyl in der EU. In Groß­bri­tan­ni­en bil­den sich Schlan­gen vor Ver­kaufs­stel­len lebens­wich­ti­ger Import­wa­ren: vor Tank­stel­len, Apo­the­ken und Deli­ka­tes­sen-Geschäf­ten. Bür­ger grei­fen zur Waf­fe, um ihre Ver­sor­gung zu sichern, die Poli­zei ist, weil kaputt­ge­spart, nicht fähig, die Lage zu beru­hi­gen. Das Aus­wär­ti­ge Amt gibt eine Rei­se­war­nung für Groß­bri­tan­ni­en heraus.

April: Die ita­lie­ni­sche Regie­rung ruft »April, April!« und nimmt auf Druck der EU-Kom­mis­si­on ihre Wahl­ver­spre­chen für Rent­ner und arme Fami­li­en zurück. Dar­auf­hin stür­men ita­lie­ni­sche Rent­ner das Forum Roma­num und köp­fen die dort auf­ge­stell­ten Sta­tu­en von Ber­lus­co­ni, Sal­vi­ni und Mus­so­li­ni. Das Aus­wär­ti­ge Amt gibt eine Rei­se­war­nung für Ita­li­en heraus.

Mai: Im wun­der­schö­nen Monat Mai, wo alle Blüm­lein pran­gen …, da haben erstens an jedem Later­nen­fahl Poli­ti­ker gehan­gen – selbst­ver­ständ­lich nur als Pla­kat! Auf­ge­hängt wird hier nie­mand bei der Euro­pa­wahl, also der Wahl zum Euro­päi­schen Par­la­ment. Die Wahl­be­tei­li­gung unter­bie­tet alles bis­her Dage­we­se­ne, das stört den EU-Betrieb aber nicht, Nicht­wäh­ler wer­den ein­fach nicht zur Kennt­nis genom­men. Gewon­nen haben vor allem die Par­tei­en, die die EU abschaf­fen wol­len. Das macht aber nichts, denn die EU ist system­re­le­vant für das Kapi­tal. Und die­se Par­tei­en wer­den im Ernst­fall auch nicht Ernst machen, denn dann fehlt ihnen ja der Angst­geg­ner Num­mer zwei nach den Flüchtlingen.

Und zwei­tens ist in Polen das Licht aus­ge­gan­gen. Die pol­ni­sche Regie­rung hat die Lie­fer­ver­trä­ge für rus­si­sches Erd­gas gekün­digt, die USA haben aber das Frack­ing-Gas noch nicht lie­fern kön­nen, weil die Trans­port­mög­lich­kei­ten nicht zur Ver­fü­gung ste­hen: Erst­mal müs­sen alle US-Sol­da­ten von ihren Sta­tio­nie­run­gen abge­zo­gen wer­den, weil Prä­si­dent Donald Trump sich vertwit­tert hat. Das Aus­wär­ti­ge Amt gibt eine Rei­se­war­nung für Polen heraus.

Juni: In Kata­lo­ni­en und im Bas­ken­land bre­chen Auf­stän­de gegen die Zen­tral­re­gie­rung aus. In Anda­lu­si­en ver­wei­gert die rech­te Regie­rung der angeb­lich lin­ken Zen­tral­re­gie­rung den Gehor­sam. Die seit Mai andau­ern­de Hit­ze von über 50 Grad Cel­si­us und die seit Jah­ren anhal­ten­de Trocken­heit brin­gen die Bau­ern auf die Bar­ri­ka­den. Das Aus­wär­ti­ge Amt gibt eine Rei­se­war­nung für Spa­ni­en heraus.

Juli: In Öster­reich haben die Gewerk­schaf­ten gegen das neue Arbeits­ge­setz nach lan­gen ver­geb­li­chen Ver­hand­lun­gen den Gene­ral­streik aus­ge­ru­fen. Das öffent­li­che Leben liegt lahm. Das Aus­wär­ti­ge Amt gibt eine Rei­se­war­nung für Öster­reich heraus.

August: Auch in Ungarn wird das neue Arbeits­ge­setz von der Bevöl­ke­rung nicht akzep­tiert. Es gibt Unru­hen in den grö­ße­ren Städ­ten, am Bala­ton strei­ken die Ange­stell­ten in der Gastro­no­mie. Das Aus­wär­ti­ge Amt gibt eine Rei­se­war­nung für Ungarn heraus.

Sep­tem­ber: Noch immer ist kei­ne Regie­rung für Schwe­den gefun­den. Die Funk­ti­ons­fä­hig­keit der Behör­den ist nicht mehr gewähr­lei­stet. Die Bevöl­ke­rung ist tief gespal­ten. Selbst die wie­der­hol­te Sich­tung rus­si­scher U-Boo­te in den Schä­ren schafft kei­nen natio­na­len Zusam­men­schluss mehr. Inzwi­schen beherr­schen Gangs die Stra­ßen, in den Schu­len fin­det kein Unter­richt mehr statt, und nicht nur für Lite­ra­tur erklä­ren die Nobel­preis-Komi­tees ihre Arbeits­un­fä­hig­keit. Das Aus­wär­ti­ge Amt gibt eine Rei­se­war­nung für Schwe­den heraus.

Okto­ber: An der Gren­ze zwi­schen Irland und dem nicht mehr zur EU gehö­ri­gen Nord­ir­land kommt es immer öfter zu Kon­flik­ten. Die nord­iri­schen Pro­te­stan­ten patrouil­lie­ren bewaff­net, um Ein­fuh­ren von EU-Waren zu ver­hin­dern. Das Aus­wär­ti­ge Amt gibt eine Rei­se­war­nung für Irland heraus.

Novem­ber: Fla­men und Wal­lo­nen wol­len sich sepa­rie­ren. Die Refe­ren­den für einen jeweils eige­nen Staat gehen so knapp aus, dass kei­ne Sei­te der ande­ren mehr die Ergeb­nis­se glaubt. Fla­men und Wal­lo­nen beschul­di­gen sich gegen­sei­tig, ihr Frit­ten­fett und ihre Scho­ko­la­de zu ver­gif­ten, das Kli­ma wird immer auf­ge­heiz­ter. Das Aus­wär­ti­ge Amt gibt eine Rei­se­war­nung für Bel­gi­en heraus.

Dezem­ber: Nach­dem die EU-Kom­mis­sa­re sich unter­ein­an­der nicht einig wer­den über eine gemein­sa­me Abwehr der Fol­gen der welt­wei­ten Wirt­schafts­kri­se, gibt Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel die Paro­le aus: »Wir müs­sen eine gemein­sa­me Lösung fin­den.« Dar­auf­hin lachen sich welt­weit alle Regie­run­gen tot. Es gibt über­all Neu­wah­len, die soge­nann­ten Volks­par­tei­en ver­lie­ren ihre Völ­ker, und rech­te Par­tei­en gewin­nen die Wah­len. Da sie unter­ein­an­der alle ver­brü­dert sind, gibt es aber kei­nen Krieg zwi­schen den Völ­kern, son­dern nur den Krieg der Besit­zen­den gegen die Besitz­lo­sen – also bleibt alles beim Alten. Nur das Aus­wär­ti­ge Amt gibt eine Rei­se­war­nung für EU-Län­der heraus.

Da kommt der Vul­kan­aus­bruch unter dem Yel­low­s­tone-Park dazwi­schen – der übri­gens von mir schon lan­ge sehn­lichst erwar­tet wird –, unter­bricht durch sei­nen gigan­ti­schen Staub­aus­wurf alle Satel­li­ten-, Twit­ter-, Inter­net- und Flug-Ver­bin­dun­gen auf der Nord­halb­ku­gel, ver­ur­sacht eine Abküh­lung der Atmo­sphä­re um zwei Grad, löst damit das Pro­blem mit dem Kli­ma­wan­del und lässt die Wirt­schaft der Län­der der süd­li­chen Hemi­sphä­re auf­blü­hen. Die Erde ist erst mal geret­tet, auch wenn kei­ner der Euro­pä­er oder US-Ame­ri­ka­ner etwas davon mit­be­kommt. Die freu­en sich nur, dass Donald Trump nicht mehr twit­tern kann und kei­ne Tsu­na­mi-Nach­rich­ten ihnen den Weih­nachts­abend vergällen.

Prost Neu­jahr!