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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Transkontinentale Abschottung

Abschot­tung und Abschreckung sind schon seit län­ge­rem wesent­li­che Ele­men­te der Asyl­po­li­tik der Euro­päi­schen Uni­on. Der Rechts­ruck in zahl­rei­chen Mit­glieds­staa­ten sorgt für wei­te­re Ver­schär­fun­gen. Es geht mitt­ler­wei­le nicht mehr »nur« um unwür­di­ge Unter­brin­gun­gen, unfai­re Asyl­ver­fah­ren und rigo­ro­se Abschie­bun­gen: Als Ziel der euro­päi­schen Poli­tik wird immer offe­ner aus­ge­ge­ben, dass Flücht­lin­ge über­haupt nicht mehr in die EU gelan­gen sol­len. Mark­stein die­ses Kon­zep­tes ist die Zusam­men­ar­beit mit Her­kunfts- und Tran­sit­staa­ten, allen vor­an den nord­afri­ka­ni­schen Staaten.

Im Früh­jahr 2018 star­te­ten die CSU und die ita­lie­ni­schen Regie­rungs­fa­schi­sten einen, unter­schied­lich moti­vier­ten, Angriff auf die EU-Flüchtlingspolitik.

Horst See­ho­fer for­der­te am EU-Recht vor­bei eine Radi­ka­li­sie­rung des Dub­lin-Systems (das die Zustän­dig­keit jenes EU-Lan­des für das Asyl­ver­fah­ren fest­schreibt, das ein Flücht­ling zuerst betritt) und ulti­ma­tiv von der Bun­des­kanz­le­rin feste Ver­ein­ba­run­gen zur dra­sti­schen Absen­kung der Zahl der Flücht­lin­ge, die nach Deutsch­land gelan­gen. Andern­falls droh­te er, eigen­mäch­ti­ge Zurück­wei­sun­gen an den deut­schen Außen­gren­zen zu ver­an­las­sen. Die ita­lie­ni­sche Regie­rung for­der­te hin­ge­gen das fak­ti­sche Ende der Dub­lin-Rege­lung. Eine Eini­gung wur­de dadurch ver­kom­pli­ziert, dass beson­ders ost­eu­ro­päi­sche Staa­ten sich kate­go­risch wei­gern, Flücht­lin­ge von ande­ren EU-Staa­ten zu über­neh­men. Auf einem Kri­sen­gip­fel Ende Juni 2018 einig­ten sich die Regie­run­gen der EU-Mit­glieds­staa­ten letzt­lich auf zwei Ideen: Für Flücht­lin­ge soll­ten künf­tig »kon­trol­lier­te Zen­tren« inner­halb der EU sowie »Anlan­de­platt­for­men« (dis­em­bar­ka­ti­on plat­forms) außer­halb der EU ein­ge­rich­tet werden.

Die soge­nann­ten kon­trol­lier­ten Zen­tren (im eng­li­schen Ori­gi­nal »con­trol­led cen­tres«; deut­sche Behör­den zei­gen eine Ten­denz, sie falsch als »kon­trol­lier­te Ein­rich­tun­gen« zu bezeich­nen, um eine poli­tisch sen­si­ble Seman­tik zu ver­mei­den) sol­len zur Auf­nah­me und Abfer­ti­gung jener Flücht­lin­ge die­nen, wel­che aus See­not geret­tet und nach Euro­pa gebracht wer­den. Details ver­ein­bar­ten die Regie­run­gen damals nicht, ein Kon­zept­pa­pier der EU-Kom­mis­si­on sieht aber vor, dass die Flücht­lin­ge in den Zen­tren inner­halb von acht Wochen iden­ti­fi­ziert und regi­striert und ihre Asyl­an­trä­ge vor­ge­prüft und in die Kate­go­rien »aus­sichts­reich«, »nicht aus­sichts­reich«, »unzu­läs­sig« sor­tiert wer­den. Es fehlt nicht der Hin­weis auf einen zügi­gen Abschie­be­me­cha­nis­mus. Wie das »Bin­nen­re­gime« der Zen­tren gestal­tet wer­den soll (Stich­wör­ter Resi­denz­pflicht, Rechts­be­ra­tung, medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung, Ver­pfle­gung), dar­über schweigt sich das Kon­zept aus. Es ver­si­chert ledig­lich, EU-Recht wer­de ein­ge­hal­ten, ohne aller­dings dar­auf ein­zu­ge­hen, dass des­sen Aus­le­gung in den Mit­glieds­staa­ten zum Teil ganz erheb­lich vari­iert, genau­so wie die Aner­ken­nungs­quo­ten von Flücht­lin­gen. Die Zustän­de in den bereits exi­stie­ren­den »Hot­spots« vor allem in Grie­chen­land, die von mas­si­ver Über­be­le­gung und kata­stro­pha­len hygie­ni­schen Zustän­den geprägt sind, las­sen jeden­falls für die neu­en Zen­tren nichts Gutes erwar­ten. Auch die Pro­ble­ma­tik, dass die Ein­stu­fungs­pra­xis soge­nann­ter siche­rer Her­kunfts­staa­ten inner­halb der EU unein­heit­lich gere­gelt wird, blen­det das Papier völ­lig aus. Mit­glieds­staa­ten, die sol­che Zen­tren ein­rich­ten, sol­len eine Art Kopf­geld von 6000 Euro pro Flücht­ling erhal­ten. Nach den Vor­stel­lun­gen der EU-Kom­mis­si­on hät­te schon vor Mona­ten eine Pilot­pha­se star­ten sol­len – tat­säch­lich kommt die Umset­zung aber nicht vor­an. Denn ent­schei­dend für die Ein­rich­tung der Zen­tren ist die Frei­wil­lig­keit des Auf­nah­me­lan­des. Und bis­her hat nie­mand »hier« gerufen.

Beinhal­ten die »kon­trol­lier­ten Zen­tren« wenig­stens noch einen Rest an Asyl­ver­fah­ren, setzt das Kon­zept regio­na­ler »Anlan­de­platt­for­men« dar­auf, Flücht­lin­ge auf dem Weg nach Euro­pa abzu­fan­gen. Bis­her wer­den sie nach Ret­tung auf hoher See in der Regel in Häfen der EU gebracht; künf­tig aber sol­len sie nach Nord­afri­ka zurück­ver­bracht und dort abge­fer­tigt wer­den. Auch jene Flücht­lin­ge, die inner­halb Afri­kas in Rich­tung Mit­tel­meer­kü­ste unter­wegs sind, sol­len in die­se »Anlan­de­platt­for­men« gebracht wer­den. In den »Anlan­de­platt­for­men« soll in kur­zer Zeit zwi­schen »irre­gu­lä­ren Migran­ten« und sol­chen, die einen Schutz­an­spruch gel­tend machen könn­ten, unter­schie­den wer­den. Für erste­re ist die Abschie­bung in ihre Her­kunfts­län­der vor­ge­se­hen, wobei Maß­nah­men zu tref­fen sei­en, um ihre erneu­te Migra­ti­on zu ver­hin­dern. Wer als schutz­be­rech­tigt ein­ge­stuft wird, soll trotz­dem nur im Aus­nah­me­fall nach Euro­pa kom­men dür­fen: Vor­ge­se­hen wird, das Asyl­sy­stem in den nord­afri­ka­ni­schen Auf­nah­me­län­dern zu stär­ken. Die Umsied­lung in die EU sei ledig­lich eine von meh­re­ren Optio­nen, heißt es im EU-Kon­zept. Es kön­ne durch­aus das Pro­blem ent­ste­hen, dass man Migran­ten hat, die weder umge­sie­delt noch vor Ort ver­blei­ben, aber auch nicht abge­scho­ben wer­den könn­ten, wie bei­spiels­wei­se allein geflüch­te­te Kin­der. Dem müs­se man sich wid­men, heißt es im Ton völ­li­ger Belanglosigkeit.

Auch für die »Anlan­de­platt­for­men« wird die Kosten­über­nah­me durch die EU zuge­sagt, die eben­so für die Abschie­bung der abge­lehn­ten Asyl­su­chen­den auf­kom­men will. Wie das Leben im Innern der Lager aus­se­hen und ob – und wel­che – euro­päi­schen Rechts­stan­dards in den dort durch­ge­führ­ten Asyl­ver­fah­ren ein­ge­hal­ten wer­den sol­len, dar­über schweigt sich das EU-Papier aus. Es heißt ledig­lich all­ge­mein, die Orte müss­ten »sicher« und »men­schen­wür­dig« sein, ande­rer­seits wird aber auch mehr­fach betont, man wol­le kei­nes­falls »Pull­fak­to­ren« schaf­fen – die Lager sol­len des­halb erstens weit von der Küste ent­fernt lie­gen und zwei­tens so beschaf­fen sein, dass sie kei­ne Anrei­ze zur Migra­ti­on darstellen.

Die EU hofft dar­auf, die geplan­ten Lager in jenen Län­dern auf­bau­en zu kön­nen, mit denen sie bereits enge Part­ner­schaf­ten bei der Stär­kung des jewei­li­gen Grenz­re­gimes unter­hält – im Prin­zip also alle nord­afri­ka­ni­schen Staa­ten. Tat­säch­lich ist sie aber noch kei­nen Schritt vor­an­ge­kom­men: Die in Fra­ge kom­men­den Län­der zei­gen kein Inter­es­se dar­an, asyl­po­li­ti­sche Exkla­ven der EU zuzu­las­sen. Auch die Afri­ka­ni­sche Uni­on hat den EU-Plä­nen eine Absa­ge erteilt.

Geht es nach Öster­reich – und einer gan­zen Rei­he ost­eu­ro­päi­scher EU-Mit­glieds­staa­ten –, soll das Asyl­sy­stem in Euro­pa ohne­hin abge­schafft wer­den: In ihrer Ein­la­dung zu einem Tref­fen des Stän­di­gen Aus­schus­ses für die ope­ra­ti­ve Zusam­men­ar­beit im Bereich der inne­ren Sicher­heit (COSI) Anfang Juli 2018 in Wien spra­chen die Öster­rei­cher, die damals die EU-Rats­prä­si­dent­schaft inne­hat­ten, Klar­text. Kon­se­quent ihrer ras­si­sti­schen Logik fol­gend, for­mu­lier­te die öster­rei­chi­sche Regie­rung das Ziel »eines neu­en, bes­se­ren Schutz­sy­stems, bei dem kei­ne Asyl­an­trä­ge mehr auf EU-Boden gestellt wer­den«. Das Ein­la­dungs­schrei­ben strotz­te vor ras­si­sti­schen Kli­schees. So hieß es dar­in etwa, Migran­ten hät­ten »wegen ihrer Prä­gung«, oft­mals »beträcht­li­che Pro­ble­me mit dem Leben in frei­en Gesell­schaf­ten« oder lehn­ten Letz­te­re sogar ab. Die Ret­tung von Men­schen­le­ben auf hoher See wur­de dar­in als »wir­kungs­los« bezeich­net – mit der Begrün­dung, die Geret­te­ten wür­den anschlie­ßend in EU-Häfen gebracht – als ob die Ret­tung von Men­schen­le­ben nicht per se anzu­stre­ben sei. Fer­ner wird in dem Schrei­ben der Vor­schlag geäu­ßert, Flücht­lin­ge, die sich »nicht recht­mä­ßig« in der EU auf­hal­ten, in »Rück­kehr­zen­tren« von Dritt­staa­ten zu verbringen.

Zwar mag es für die­se zyni­schen Plä­ne noch kei­ne poli­ti­sche Mehr­heit geben, und deut­sche Diplo­ma­ten zeig­ten sich zumin­dest über die Wort­wahl der öster­rei­chi­schen Gast­ge­ber befrem­det, doch wäre es vor eini­gen Jah­ren noch undenk­bar gewe­sen, mit sol­chen ras­si­sti­schen Tönen zu einem EU-Tref­fen ein­zu­la­den. Der neue Ton zeigt exem­pla­risch, wie stark sich der poli­ti­sche Dis­kurs in der EU und die Ziel­for­mu­lie­rung der EU-Asyl­po­li­tik nach rechts ver­scho­ben haben.

Fron­tex als »ech­te« Polizeitruppe

Die Absichts­er­klä­run­gen zu »kon­trol­lier­ten Zen­tren« und »Anlan­de­platt­for­men« deu­ten die all­ge­mei­ne asyl­po­li­ti­sche Ent­wick­lungs­rich­tung an, doch die EU-Kom­mis­si­on kann durch­aus auch kon­kre­ter wer­den: Am 12. Sep­tem­ber 2018 stell­te sie den Vor­schlag zur Ände­rung der Fron­tex-Ver­ord­nung vor (EU-Rats­do­ku­ment 12143/​18). Er sieht eine mas­si­ve Auf­rü­stung der Agen­tur auf 10.000 Mit­ar­bei­ter vor – und zwar schon bis 2020. Deutsch­land soll 1257 Ein­satz­kräf­te stel­len. Zum Cha­rak­ter einer »ech­ten Grenz­po­li­zei« (O-Ton EU-Kom­mis­si­ons­chef Jun­cker) gehört, dass Fron­tex-Beam­te an den EU-Außen­gren­zen auch hoheit­li­che Auf­ga­ben über­neh­men sol­len, also bei­spiels­wei­se Rei­se­do­ku­men­te über­prü­fen, Ein­rei­sen zulas­sen oder ableh­nen und Abschie­bun­gen durch­füh­ren. Als Ziel wird auch die Bekämp­fung von »Sekun­där­mi­gra­ti­on« genannt, das heißt, Flücht­lin­ge sol­len dar­an gehin­dert wer­den, in ande­re EU-Län­der zu gelan­gen. »Team­mit­glie­der dür­fen bei der Wahr­neh­mung ihrer Auf­ga­ben und Befug­nis­se Dienst­waf­fen, Muni­ti­on und Aus­rü­stung mit sich füh­ren.« Auch das ist neu.

Die Zahl von 10.000 Mit­ar­bei­tern stellt mehr oder weni­ger die auf­ge­run­de­te Sum­me des Per­so­nals dar, das die EU-Mit­glieds­staa­ten bereits aktu­ell zuge­sagt haben. Nur: Die Zusa­gen erfolg­ten frei­wil­lig, und sie sind unver­bind­lich. Es klappt ein­fach nicht, aus Sicht der Kom­mis­si­on. Nach ihren Anga­ben sind im Jahr 2017 an den Land­gren­zen »ledig­lich 49 Pro­zent der Grenz­schutz­be­am­ten und vier Pro­zent der Aus­rü­stung« zusam­men­ge­kom­men, die zuge­sagt waren. Außer­dem klagt sie, die Zusa­gen erstreck­ten sich immer auf kon­kre­te Stand­or­te und Zeit­räu­me und könn­ten des­halb nicht fle­xi­bel umge­schich­tet wer­den. Des­we­gen brau­che es nun eine ste­hen­de Trup­pe von 3000 fest ange­stell­ten Fron­tex-Mit­ar­bei­tern. Die rest­li­chen 7000 sol­len sich wei­ter­hin aus von den EU-Staa­ten abge­ord­ne­ten Per­so­nen zusam­men­set­zen, aber mit einem höhe­ren Ver­bind­lich­keits­grad. Ein Teil des Per­so­nals soll zudem lang­fri­stig abge­stellt werden.

Der EU-Haus­halt müss­te für die Jah­re 2019 und 2020 um ins­ge­samt 577,5 Mil­lio­nen Euro auf­ge­stockt wer­den. Für den Zeit­raum von 2021 bis 2027 wäre ein Gesamt­bei­trag von 11,27 Mil­li­ar­den Euro erfor­der­lich. Beson­ders bri­sant: Im »Not­fall« sol­len die Fron­tex-Leu­te ihre exe­ku­ti­ven Befug­nis­se auch wahr­neh­men kön­nen, ohne dass ein Mit­glieds­staat zuvor dar­um gebe­ten hat, even­tu­ell sogar gegen des­sen Wil­len. Es ist frag­lich, ob die betrof­fe­nen Staa­ten zu die­sem Sou­ve­rä­ni­täts­ver­zicht bereit sind, aber auch hier ist die Rich­tung deut­lich. Der von der EU-Kom­mis­si­on vor­ge­stell­te Zeit­plan hat sich aller­dings in kur­zer Zeit als zu ambi­tio­niert her­aus­ge­stellt, auf dem Tref­fen der Innen­mi­ni­ster Anfang Dezem­ber 2018 wur­de die Auf­stockung von Fron­tex auf die Jah­re 2025 bis 2027 verschoben.

Afri­ka­ni­sche »Part­ner­schaf­ten«

Ein Bau­stein auf dem Weg zur Total­ver­hin­de­rung von Asyl­an­trä­gen auf euro­päi­schem Boden ist die Zusam­men­ar­beit der EU mit Tran­sit­staa­ten, um Flucht­mi­gra­ti­on so schwie­rig wie mög­lich zu machen. In ihrem Beschluss für Anlan­de- und kon­trol­lier­te Asyl­zen­tren von Ende Juni 2018 hielt die EU daher auch fest, die Aus­bil­dung und die Aus­rü­stung der liby­schen Küsten­wa­che sei­en »Schlüs­sel­kom­po­nen­ten« ihres Kon­zep­tes. Denn Liby­en ist auf­grund des Ver­falls staat­li­cher Struk­tu­ren – der wie­der­um eine Fol­ge des Krie­ges von 2011 gegen das Land ist – eines der Haupt-Tran­sit­län­der afri­ka­ni­scher Flücht­lin­ge. Dem­entspre­chend arbei­tet die EU bei der Abwehr von Flücht­lin­gen mit dem der­zeit herr­schen­den Mili­zen­bünd­nis. Die 2013 ein­ge­setz­te Poli­zei­mis­si­on EUBAM Liby­en dient der Aus- und Fort­bil­dung der liby­schen Poli­zei inklu­si­ve des Grenz­schut­zes und soll die liby­schen Behör­den bei Auf­bau und Umset­zung einer »inte­grier­ten Grenz­ma­nage­ment­stra­te­gie« unter­stüt­zen. Die Umset­zung von Aus- und Fort­bil­dungs­maß­nah­men wird der­zeit jedoch durch den Umstand gehemmt, dass auf­grund der nach wie vor insta­bi­len Sicher­heits­la­ge der Groß­teil der momen­tan 38 von der EU abge­ord­ne­ten Poli­zei­be­am­ten (davon maxi­mal zwei Bun­des­po­li­zi­sten) außer­halb Liby­ens, näm­lich in Tunis, sta­tio­niert ist.

Die poli­zei­li­che Kom­po­nen­te wird durch eine mili­tä­ri­sche ergänzt, die wesent­lich umfang­rei­cher ist: Die 2015 begon­ne­ne EU-Mis­si­on EUNAFVOR Med »Sophia« dient offi­zi­ell dem Ziel der Bekämp­fung der Schleu­ser – was fak­tisch mit der Ver­hin­de­rung »irre­gu­lä­rer« Migra­ti­on iden­tisch ist. Zum Auf­trag die­ser Mili­tär­mis­si­on gehö­ren die See­raum­über­wa­chung, das Auf­brin­gen von Schleu­ser­boo­ten – auch inner­halb liby­scher Hoheits­ge­wäs­ser – sowie die Aus­bil­dung und der Auf­bau der liby­schen »Küsten­wa­che«. Nach Anga­ben der Bun­des­re­gie­rung erhiel­ten bis Okto­ber letz­ten Jah­res 238 Ange­hö­ri­ge die­ser – im Wesent­li­chen aus Bür­ger­kriegs­mi­li­zen gebil­de­ten – »Küsten­wa­che« eine Aus­bil­dung, zumeist auf EU-Kriegs­schif­fen, zum Teil aber auch auf dem kroa­ti­schen oder ita­lie­ni­schen Festland.

Beson­ders zynisch: Die liby­sche »Küsten­wa­che« wird auch aus dem soge­nann­ten Not­hil­fe­fonds der EU für Afri­ka finan­ziert. Min­de­stens 46 Mil­lio­nen Euro wur­den 2017 für das »Manage­ment der See- und Land­gren­zen« bereit­ge­stellt, womit die Aus­bil­dung gemeint ist, aber zum Bei­spiel auch die Instand­set­zung von Schif­fen, der Auf­bau von Lage- und Koor­di­nie­rungs­zen­tren. Zum Pro­gramm gehört auch die Lie­fe­rung mate­ri­el­ler Güter wie Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel, Schlauch­boo­te, Fahr­zeu­ge, kugel­si­che­re Westen und so wei­ter. Wie viel Geld die EU ins­ge­samt in den Auf­bau des liby­schen Grenz­re­gimes pumpt, ist schwer zu bestim­men, weil der Begriff »Migra­ti­ons­ma­nage­ment« teil­wei­se auch huma­ni­tä­re Hil­fe etwa für Flücht­lings­la­ger umfasst. Der Guar­di­an schätz­te die Kosten für den Aus­bau der Küsten­wa­che Ende 2017 auf rund 285 Mil­lio­nen Euro, die von der EU und Ita­li­en getra­gen würden.

Der Begriff »Küsten­wa­che« sug­ge­riert eine »ordent­li­che« und dis­zi­pli­nier­te Trup­pe. Tat­säch­lich han­delt es sich aber im Wesent­li­chen um eine Gang aus Bür­ger­kriegs­mi­li­zen, die fort­lau­fend in die Schlag­zei­len gerät, weil sie mit Schleu­sern zusam­men­ar­bei­tet und gewalt­sam gegen Boo­te pri­va­ter See­not­ret­ter vor­geht. Mel­dun­gen, denen zufol­ge die­se Küsten­wa­che im ersten Halb­jahr 2018 10.000 Per­so­nen »geret­tet« hat, sind daher mit Skep­sis zu bewer­ten. Häu­fig wer­den die Flücht­lin­ge schlicht­weg dar­an gehin­dert, die liby­schen Hoheits­ge­wäs­ser zu ver­las­sen oder sogar aus inter­na­tio­na­len Gewäs­sern nach Liby­en zurück­ge­holt. Bezeich­nend war ein Vor­fall im Novem­ber 2018: Rund 80 Flücht­lin­ge, die von der »Küsten­wa­che« »geret­tet« und in den liby­schen Hafen Mis­ra­ta gebracht wor­den waren, wei­ger­ten sich, das Schiff zu ver­las­sen. Sie wur­den schließ­lich gewalt­sam von Bord gebracht. Der UN-Men­schen­rechts­kom­mis­sar beschul­digt die »Küsten­wa­che«, Men­schen als Zwangs­ar­bei­ter an Far­men und Pri­vat­haus­hal­te zu verkaufen.

Die Flücht­lin­ge hat­ten guten Grund, sich nicht in die Hän­de der liby­schen Behör­den-Mili­zen zu bege­ben, denn auf sie war­te­te die Inhaf­tie­rung in einem von 24 soge­nann­ten detenti­on cen­tres. In die­sen sind nach Kennt­nis der Inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­ti­on für Migra­ti­on (IOM) zwi­schen 8000 und 10.000 Flücht­lin­ge inter­niert, die auf ihre Abschie­bung war­ten. Die Zahl war zwi­schen­zeit­lich gerin­ger, ist aber »dank« der erwei­ter­ten Arbeit der Küsten­wa­che wie­der gestie­gen. Jour­na­li­sten, die Zugang zu den Gefäng­nis­sen erhiel­ten, berich­ten über ver­hee­ren­de hygie­ni­sche Zustän­de. Statt Toi­let­ten müs­sen die Insas­sen Pla­stik­tü­ten benut­zen und erhal­ten nur eine Mahl­zeit und eine klei­ne Fla­sche Was­ser pro Tag. Der UN-Men­schen­rechts­kom­mis­sar atte­stiert den Ein­rich­tun­gen regel­mä­ßi­ge schwe­re Ver­let­zun­gen der Men­schen­rech­te. Es muss nicht extra betont wer­den, dass es in Liby­en kei­ne Mög­lich­keit gibt, sich juri­stisch gegen die­se Zustän­de zur Wehr zu set­zen. Noch erheb­lich schlim­mer geht es in den »pri­va­ten« Gefäng­nis­sen zu, zu denen Jour­na­li­sten und inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­tio­nen kei­nen Zugang haben. In ihnen sind Miss­hand­lun­gen, Fol­ter, Ver­ge­wal­ti­gun­gen und Ver­skla­vung an der Tages­ord­nung. All das wird in als Ver­schluss­sa­che ein­ge­stuf­ten Ana­ly­sen des Aus­wär­ti­gen Amtes bestätigt.

Die Bun­des­re­gie­rung will aller­dings nicht zuge­ben, dass der Feh­ler im System liegt. Sie inter­pre­tiert Berich­te über sol­che Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen als Beleg dafür, dass die liby­schen »Behör­den« bes­ser aus­ge­bil­det wer­den müs­sen. »Wei­ter so!« ist ihre Devi­se. Haupt­sa­che, die Flücht­lin­ge wer­den ferngehalten.

Doch nicht nur Liby­en steht im Fokus. Auch die tune­si­sche Grenz­po­li­zei erhält seit Jah­ren viel­fäl­ti­ge Aus­bil­dungs­lei­stun­gen der deut­schen Bun­des­po­li­zei. Sie soll ler­nen, gefälsch­te Doku­men­te zu erken­nen, »Ille­ga­le« auf­zu­spü­ren und zu erfas­sen und Wär­me­bild­ka­me­ras und Nacht­sicht­ge­rä­te zu bedie­nen. Dazu wird sie auf Kosten der EU mit Tech­nik, Labor­ein­rich­tun­gen, Fahr­zeu­gen, Schnell­boo­ten, Büro­ge­rä­ten und so wei­ter aus­ge­stat­tet. Die Tages­zei­tung Die Zeit zitier­te im Jahr 2016 einen tune­si­schen Poli­zei­ge­ne­ral, der sei­nen deut­schen »Freun­den« eupho­risch ver­si­cher­te: »Bis spä­te­stens 2020 wird an allen Gren­zen Tune­si­ens nach deut­schem Stan­dard patrouil­liert.« Der Mann hat offen­bar nicht mit­be­kom­men, dass Grenz­pa­trouil­len in Deutsch­land längst zur Aus­nah­me gewor­den sind, aber sei­nen Auf­trag hat er ver­stan­den. Allein im drit­ten Quar­tal 2018 führ­te die Bun­des­po­li­zei 14 Pro­jek­te mit der tune­si­schen Natio­nal­gar­de durch, dar­un­ter die »Schu­lung von Grenz­po­sten­füh­rern«, die »Schu­lung von Lei­ten­den Maschi­ni­sten« und die »Fort­bil­dung von Führungskräften«.

Dar­über hin­aus wer­den auch sub­sa­ha­ri­sche afri­ka­ni­sche Staa­ten zuneh­mend in die EU-Flücht­lings­ab­wehr­po­li­tik ein­be­zo­gen. Mit Mali und Niger gibt es umfang­rei­che Pro­gram­me, die das von der EU-Kom­mis­si­on unver­hoh­len ein­ge­räum­te Ziel ver­fol­gen, »Migra­ti­ons­be­we­gun­gen in Rich­tung Liby­en zu ver­hin­dern«. Zu den Maß­nah­men der Pro­gram­me zäh­len Ansied­lungs­zu­sa­gen, Unter­stüt­zung bei der »frei­wil­li­gen Rück­kehr«, Abspra­chen zur Ver­stär­kung der Grenz­kon­trol­len, ver­schärf­te Maß­nah­men »gegen den Men­schen­han­del« und die Ent­sen­dung euro­päi­scher Ver­bin­dungs­be­am­ter zur Stär­kung der ein­hei­mi­schen Sicher­heits­ap­pa­ra­te. Die EU spon­sert mit bis­lang 100 Mil­lio­nen Euro die G5 Sahel Joint Force, eine gemein­sa­me mili­tä­ri­sche Trup­pe aus Bur­ki­na Faso, Mali, Mau­re­ta­ni­en, Niger und Tschad, deren ope­ra­ti­ve Zie­le recht all­ge­mein gehal­ten sind: die Bekämp­fung ter­ro­ri­sti­scher und kri­mi­nel­ler Grup­pie­run­gen und die Wie­der­erlan­gung vol­ler Kon­trol­le über die Staatsgrenzen.

Am Umgang mit pri­va­ten See­not­ret­tern im Mit­tel­meer lässt sich seit Mona­ten beob­ach­ten, wie die EU gegen jene vor­geht, die ihre Abschot­tungs­po­li­tik zu durch­kreu­zen ver­su­chen. Immer wie­der wird Schif­fen die Anlan­dung an Häfen in Ita­li­en oder Mal­ta ver­wei­gert. Zum Teil über eine Woche lang muss­ten Boo­te mit meh­re­ren Hun­dert oft kran­ken und ver­letz­ten Flücht­lin­gen an Bord war­ten, bis sie end­lich anlan­den und an Land gehen durf­ten. See­not­ret­ter-Schif­fe wur­den beschlag­nahmt und die Besat­zun­gen teil­wei­se inhaf­tiert und ver­schie­de­ner Delik­te beschul­digt. Bun­des­in­nen­mi­ni­ster See­ho­fer for­der­te, unge­ach­tet der Tat­sa­che sei­ner feh­len­den Zustän­dig­keit fürs Mit­tel­meer, die­je­ni­gen »zur Rechen­schaft« zu zie­hen, wel­che einen »Shut­tle« zwi­schen Liby­en und Euro­pa ein­ge­rich­tet hät­ten. Ret­tungs­schif­fe, die von der liby­schen »Küsten­wa­che« beschos­sen wer­den, müs­sen sich anschlie­ßend anhö­ren, sie soll­ten deren Tätig­keit nicht behin­dern. Die Ret­tung von Men­schen­le­ben als kri­mi­na­li­sier­te Hand­lung, die Ver­un­glimp­fung der Ber­gung aus See­not als »Shuttle«-Service – deut­li­cher lässt sich kaum zei­gen, wie die EU das huma­ni­tä­re Asyl­recht zugrun­de richtet.