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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Verantwortung mit Maas

Am Neu­jahrs­tag hat Bun­des­au­ßen­mi­ni­ster Hei­ko Maas twit­tern las­sen: »Heu­te beginnt unse­re zwei­jäh­ri­ge Mit­glied­schaft im @UN-Sicherheitsrat. Das sind unse­re vier Schwer­punkt­the­men: Kli­ma­wan­del und Sicher­heit; Frau­en, Frie­den und Sicher­heit; Schutz von huma­ni­tä­ren Hel­fern; Abrü­stung und Rüstungs­kon­trol­le«. Hei­ko Maas und Bun­des­re­gie­rung set­zen sich für Frie­den und Sicher­heit, für Abrü­stung und Rüstungs­kon­trol­le ein? Die Bun­des­re­gie­rung und Hei­ko Maas, die bis heu­te die Unter­zeich­nung des UN-Ver­trags zum Ver­bot von Atom­waf­fen ver­wei­gern; die Jahr um Jahr den Rüstungs­haus­halt stei­gern; die sich tap­fer weg­ducken, wenn US-Prä­si­dent Donald Trump zum weih­nacht­li­chen Trup­pen­be­such nach Ram­stein kommt, statt ihn auf­zu­for­dern, doch bit­te schön end­lich die in Deutsch­land gela­ger­ten US-Atom­waf­fen außer Lan­des zu schaf­fen, am besten gleich beim Rück­flug in der Air Force One? Ganz ernst mag man da den saar­län­di­schen Sozi­al­de­mo­kra­ten nicht nehmen.

Per Pres­se­mit­tei­lung behaup­te­te Hei­ko Maas zum gro­ßen Tag am 1. Janu­ar schließ­lich, die Erwar­tun­gen an Deutsch­land sei­en »nie grö­ßer« gewe­sen. Die Bun­des­re­gie­rung will sich dem Ver­neh­men nach im UN-Sicher­heits­rat ver­stärkt für eine Lösung welt­wei­ter Kri­sen enga­gie­ren »Wir haben uns gut vor­be­rei­tet und wol­len die­se Ver­ant­wor­tung anneh­men«, so Maas. Mit Blick auf zwei Mel­dun­gen im ZDF und in der FAZ muss die­ses Dik­tum aus­drück­lich als Dro­hung ver­stan­den werden.

Bevor am Bran­den­bur­ger Tor das gro­ße Sil­ve­ster­feu­er­werk gezün­det wur­de, kam vom Main­zer Ler­chen­berg noch fol­gen­de Kom­man­do­mel­dung: »Über­nah­me an Neu­jahr: Deutsch­land führt NATO-Speer­spit­ze«. Die­se rich­te sich »vor allem gegen Russ­land«. Und »soll­te die schnel­le Trup­pe 2019 gefor­dert sein, stün­den deut­sche Sol­da­ten an vor­der­ster Front.« Nach Anga­ben des Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­ri­ums bestehen die Land­streit­kräf­te der soge­nann­ten Speer­spit­ze des NATO-Mili­tär­pakts in die­sem Jahr aus rund 8000 Sol­da­ten – und heu­er unter deut­schem Ober­be­fehl. So viel Ver­ant­wor­tung muss sein.

Auch poli­tisch gehen die Sozi­al­de­mo­kra­ten wei­ter in Front­stel­lung. Kurz vor Über­nah­me der anti­rus­si­schen super­schnel­len Ein­greif­trup­pe der NATO kün­dig­te der außen­po­li­ti­sche Spre­cher der SPD-Bun­des­tags­frak­ti­on Nils Schmid – wie von Hei­ko Maas bestellt – einen Kurs­wech­sel sei­ner Par­tei im Umgang mit Russ­land an. Die SPD wol­le weg von einer auf per­sön­li­chen Bezie­hun­gen basie­ren­den Poli­tik. »Nüch­tern« und »kri­tisch« sol­le die Russ­land-Poli­tik fort­an sein. »Die alte Russ­land­po­li­tik der SPD war stark vom Ansatz geprägt: Füh­ren­de Poli­ti­ker set­zen sich abends für eini­ge Stun­den mit Putin zusam­men, danach wird sich schon etwas in die gewünsch­te Rich­tung bewe­gen. Das hat sich aber als Fehl­ein­schät­zung erwie­sen«, dik­tier­te Schmid der FAZ in die Spal­ten. Die­se auf per­sön­li­chen Bezie­hun­gen basie­ren­de Poli­tik gegen­über Mos­kau, wie sie vom frü­he­ren Bun­des­kanz­ler Ger­hard Schrö­der und den ehe­ma­li­gen Außen­mi­ni­stern Frank-Wal­ter Stein­mei­er und Sig­mar Gabri­el ver­tre­ten wor­den sei, sol­le end­gül­tig der Ver­gan­gen­heit ange­hö­ren. Wie sein Außen­mi­ni­ster geht auch Schmid auf Distanz zur ein­sti­gen Ost­po­li­tik sei­ner Par­tei. Sei­ne Gene­ra­ti­on, so der 45-Jäh­ri­ge, sei durch die Pere­stroi­ka-Zeit unter Michail Gor­bat­schow geprägt, nicht mehr von der Ost­po­li­tik des frü­he­ren SPD-Kanz­lers Wil­ly Brandt. Über­haupt sei­en die Bezie­hun­gen mit Russ­land ein­fach nur ent­täu­schend. Nichts gehe vor­an, barmt der sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Nach­wuchs­ka­der. »Wir füh­ren wei­ter einen Dia­log mit Russ­land. In der Sub­stanz bewegt sich Mos­kau aller­dings in ent­schei­den­den Fra­gen – wie im Ukrai­ne-Kon­flikt – nicht.« Es ist frei­lich nicht bekannt, dass sich Hei­ko Maas und die Bun­des­re­gie­rung in ent­schei­den­den Fra­gen, etwa in dem von frü­he­ren deut­schen Außen­mi­ni­stern befeu­er­ten Ukrai­ne-Kon­flikt, in der Sub­stanz bewegt hät­ten. Im Gegen­teil: Auf Beschluss des ukrai­ni­schen Par­la­ments wur­de am 1. Janu­ar lan­des­weit der 110. Geburts­tag des Nazi­kol­la­bo­ra­teurs Ste­pan Ban­de­ra began­gen. In der Haupt­stadt des Möch­te­gern-NATO-Mit­glieds betei­lig­ten sich Tau­sen­de an einem Fackel­zug. Das west­ukrai­ni­sche Lwiw erklär­te 2019 sogar zum »Ban­de­ra-Jahr«.

Von Außen­mi­ni­ster Hei­ko Maas, der am 1. Janu­ar per Twit­ter ja aus­drück­lich bekun­det hat­te, sich für Frie­den und Sicher­heit ein­zu­set­zen, und der sonst ger­ne Hal­tung zeigt, war zur staat­lich ver­ord­ne­ten Hel­den­ver­eh­rung und zum Kie­wer Faschi­sten­auf­marsch für einen Ver­bre­cher, des­sen Orga­ni­sa­ti­on Ukrai­ni­scher Natio­na­li­sten im Zwei­ten Welt­krieg für Ver­fol­gung und Ter­ror ver­ant­wort­lich war, nur Schwei­gen zu ver­neh­men. Wie übri­gens auch vom übri­gen Kabi­nett, vom ZDF und von der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung, doch das nur nebenbei.

Nils Schmid und sei­ner Gene­ra­ti­on von Sozi­al­de­mo­kra­ten sei ein klei­ner Lek­tü­re­tipp ans Herz gelegt: Der Amts­vor­gän­ger von Hei­ko Maas, der frü­he­re Außen­mi­ni­ster und Vize­kanz­ler Sig­mar Gabri­el warnt in sei­nem Buch »Zei­ten­wen­de in der Welt­po­li­tik. Mehr Ver­ant­wor­tung in unge­wis­sen Zei­ten« (Her­der-Ver­lag 2018) vor einer wei­te­ren Kon­fron­ta­ti­ons­po­li­tik gegen­über Russ­land und stellt auch die Ukrai­ne-Poli­tik vom Kopf auf die Füße. Dass sich das Abkom­men von Minsk in einer Sack­gas­se befän­de, sei »nicht allein der rus­si­schen Bewe­gungs­lo­sig­keit geschul­det«. Letzt­lich habe die ukrai­ni­sche Füh­rung das Abkom­men nur unter­zeich­net, weil sie vor einer mili­tä­ri­schen Nie­der­la­ge stand. »Eine ech­te ›Owner­ship‹ für das Abkom­men hat es in der ukrai­ni­schen Poli­tik nie gege­ben. Im Gegen­teil: Jedes Jahr wur­de in Kiew der Wider­stand gegen die Umset­zung grö­ßer. Der Kon­flikt im Don­bass dau­ert inzwi­schen viel zu lan­ge, zu tief haben sich Hass und Gewalt in bei­de Gesell­schaf­ten hin­ein­ge­fres­sen. Es dürf­te nicht nur eine Schutz­be­haup­tung Putins sein, Russ­land wür­de sich erst dann aus der Ost­ukrai­ne her­aus­hal­ten, wenn die Gefahr von blu­ti­gen Rache­feld­zü­gen ukrai­ni­scher Ver­bän­de gegen die rus­si­schen Min­der­hei­ten im Don­bass gebannt sei.« Des­halb emp­feh­le es sich auch nicht, so Gabri­el wei­ter, an der voll­stän­di­gen Umset­zung des Mins­ker Abkom­mens über die Zukunft der Ost­ukrai­ne fest­zu­hal­ten, bevor Euro­pa bereit ist, die Sank­tio­nen gegen Russ­land auf­zu­he­ben. »Die Sank­tio­nen sind schritt­wei­se auf­ge­baut wor­den, also kann und muss man sie auch nach und nach abbau­en.« Sein per­sön­li­cher Ein­druck sei, schreibt der frü­he­re SPD-Vor­sit­zen­de wei­ter, »dass der rus­si­sche Prä­si­dent Wla­di­mir Putin den Kon­flikt in der Ost­ukrai­ne lösen will«. Es war schon beim Amts­an­tritt von Hei­ko Maas vor knapp einem drei­vier­tel Jahr abseh­bar, dass man sich so rasch einen Sig­mar Gabri­el zurück­seh­nen könnte.