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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gericht verhindert Verleumdung

Wer einen Hoch­schul­leh­rer beson­ders schwer belei­di­gen und schä­di­gen will, nennt ihn im Inter­net einen »Gehil­fen anti­se­mi­ti­scher Agi­ta­ti­on«. Eben die­se ver­leum­de­ri­sche Beschul­di­gung erhob die »Grü­ne Jugend Mün­chen«, die für die Web­sei­te eines loka­len Bünd­nis­ses ver­ant­wort­lich zeich­net, gegen Micha­el Mey­en, Pro­fes­sor für Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft der Münch­ner Uni­ver­si­tät. Nun hat das Ober­lan­des­ge­richt Mün­chen der Grü­nen Jugend unter Andro­hung einer Ord­nungs­gel­des von bis zu 250.000 Euro oder Ord­nungs­haft von bis zu zwei Jah­ren Anfang Okto­ber ver­bo­ten, dies wei­ter­hin zu ver­brei­ten. Das Gericht kor­ri­gier­te damit eine Ent­schei­dung des Münch­ner Land­ge­richts, das die For­mu­lie­rung noch für zuläs­sig erklärt hatte.

Ins­ge­samt vier Behaup­tun­gen wer­den der Grü­nen Jugend unter­sagt, dazu gehört, dass nicht wei­ter­ver­brei­tet wer­den darf, Mey­en unter­stüt­ze »mit gro­ßem per­sön­li­chem Ein­satz anti­se­mi­ti­sche Bewe­gun­gen wie BDS«. Ziel der inter­na­tio­na­len BDS-Bewe­gung (»Boy­cott, Divest­ment, Sanc­tions«) ist es, ähn­lich wie beim Kampf zur Über­win­dung der ras­si­sti­schen Poli­tik im Apart­heid-Süd­afri­ka, mit gewalt­lo­sen Mit­teln, ein­schließ­lich wirt­schaft­li­chen Boy­kotts, ein Ende der Unter­drückung der Palä­sti­nen­ser zu errei­chen. Nicht durch­set­zen konn­te sich Mey­en gegen die Äuße­rung: »Jedoch muss er sich von uns den Vor­wurf gefal­len las­sen, Anti­se­mi­tis­mus zu tole­rie­ren.« Das Ober­lan­des­ge­richt begrün­de­te das u. a. damit, dass sich Mey­en von Ken Jeb­sen inter­view­en ließ und Bei­trä­ge bei Rubi­kon veröffentlichte.

Die hef­ti­ge Aggres­si­on, die in dem ehr­ver­let­zen­den Angriff der Grü­nen Jugend und des Bünd­nis­ses mit dem eher irre­füh­ren­den Namen »Lin­kes Bünd­nis gegen Anti­se­mi­tis­mus« (LBGA) gegen Mey­en zum Aus­druck kommt, basiert ins­be­son­de­re auf des­sen Unter­stüt­zung für eine Kla­ge gegen die Stadt Mün­chen, die ein Bür­ger der Stadt ein­ge­reicht hat­te. Gestützt auf einen umstrit­te­nen Rats­be­schluss vom 13.12.2017 ver­wei­ger­te die Stadt die­sem Ver­an­stal­ter einen Saal für eine Podi­ums­dis­kus­si­on mit dem Titel »Wie sehr schränkt Mün­chen die Mei­nungs­frei­heit ein? Der Stadt­rats­be­schluss vom 13.12.2017 und sei­ne Folgen«.

Die­ser Stadt­rats­be­schluss – bis­wei­len auch BDS-Beschluss genannt – geht auf einen gemein­sa­men Antrag von CSU und SPD zurück und wur­de mehr­heit­lich auch von den Grü­nen unter­stützt. Die Fol­gen sind weit­rei­chend: Seit­her gibt es in Mün­chen prak­tisch kei­ne Ver­an­stal­tun­gen mehr, die die israe­li­sche Besat­zungs- und Sied­lungs­po­li­tik the­ma­ti­sie­ren. Der Stadt­rats­be­schluss unter­sagt jeg­li­ches »Befas­sen« mit BDS, des­halb wer­den städ­ti­sche und städ­tisch geför­der­te Räu­me für Ver­an­stal­tun­gen ver­wei­gert. Es sei nicht zu ver­hin­dern, dass im Dis­kus­si­ons­teil auch die BDS-Bewe­gung zur Spra­che kom­men kön­ne, heißt es zur Begründung.

Nach einem Urteil des Baye­ri­schen Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs (VGH) vom 17.11.2020 ist ein der­ar­ti­ger Beschluss rechts­wid­rig, weil damit die Grund­rech­te auf Mei­nungs- und Ver­samm­lungs­frei­heit ver­letzt wer­den (AZ 4B 19.1358). Weil die Stadt Revi­si­on beim Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt ein­leg­te, ist das Urteil noch nicht rechts­kräf­tig, nam­haf­te Juri­sten hal­ten es aller­dings für wahr­schein­lich, dass das sehr sorg­fäl­tig begrün­de­te VGH-Urteil bestä­tigt wer­den wird.

Die Grü­ne Jugend und ihre Bünd­nis­part­ner ver­übeln Mey­en außer­dem, dass er den Nah­ost-Spe­zia­li­sten und frü­he­ren taz-Kor­re­spon­den­ten Andre­as Zumach zu einem Vor­trag mit dem Titel »Isra­el, Palä­sti­na und die Gren­zen des Sag­ba­ren« in die Münch­ner Uni­ver­si­tät ein­lud (der außer­ge­wöhn­li­che Vor­trag ist hier abruf­bar: (https://www.youtube.com/watch?v=oTMKToXZr60).

Das Ver­hin­dern von Ver­an­stal­tun­gen durch den Stadt­rats­be­schluss zu BDS geht aber noch wesent­lich wei­ter. Der israe­li­sche Pro­fes­sor Mos­he Zucker­mann etwa kann in Mün­chen seit Jah­ren nicht ein­mal über Anti­se­mi­tis­mus refe­rie­ren, und der in der Stadt leben­den Jüdin Judith Bern­stein, einer Toch­ter von Holo­caust-Über­le­ben­den, wird ver­wehrt, einen Vor­trag über ihre Hei­mat­stadt Jeru­sa­lem zu hal­ten. Als ihr zusam­men mit ihrem Mann Rei­ner Bern­stein von der Huma­ni­sti­schen Uni­on der Preis »Der auf­rech­te Gang« ver­lie­hen wer­den soll­te, u.a. für ihren Ein­satz für die Stol­per­stein-Initia­ti­ve, wur­de der Huma­ni­sti­schen Uni­on ein Saal dafür im städ­ti­schen Gasteig ver­wei­gert. Stol­per­stei­ne sind in Mün­chen als ein­zi­ger grö­ße­rer deut­scher Stadt nicht zugelassen.

Unge­wöhn­lich und sehr bemer­kens­wert war auch die Bericht­erstat­tung der Süd­deut­sche Zei­tung über das OLG-Urteil. Dem Bei­trag war weder zu ent­neh­men, wel­che Haupt­vor­wür­fe der Grü­nen Jugend und dem »Lin­ken Bünd­nis« ver­bo­ten wur­den, noch dass bei Zuwi­der­hand­lung ein Ord­nungs­geld bis zu 250.000 Euro droht. Einer Rei­he von Lesern fiel die­ser Man­gel auf, und als einer von ihnen dies in einem Leser­brief an die Süd­deut­sche bean­stan­de­te, lehn­te das Blatt die Ver­öf­fent­li­chung ab. In der Ant­wort der Redak­ti­on, aus der wir mit Zustim­mung des Brief­schrei­bers zitie­ren, heißt es, die Ver­öf­fent­li­chung des Leser­briefs schei­te­re »an exakt der­sel­ben Hür­de, die wir bei der Bericht­erstat­tung zu beach­ten hat­ten: Wenn ein Vor­wurf gericht­lich als unzu­läs­sig fest­ge­stellt ist, kön­nen wir ihn nicht als Zitat wie­der­ho­len, ohne das Delikt sozu­sa­gen noch ein­mal zu bege­hen. Wir beach­ten die ver­fas­sungs­ge­mä­ße Zustän­dig­keit des unab­hän­gi­gen Gerich­tes und auch die vom Gericht fest­ge­stell­te Rechts­la­ge. Das gilt selbst­ver­ständ­lich auch für die Ver­brei­tung in Leser­brie­fen, weil da sowohl Sie als Ver­fas­ser als auch wir als die Ver­brei­ter in der Haf­tung wären.«

Die­se Begrün­dung ist absurd. Selbst­ver­ständ­lich ist es zuläs­sig, dass Medi­en über Gerichts­ur­tei­le berich­ten, die die Ver­let­zung von Per­sön­lich­keits­rech­ten fest­stel­len und unter­bin­den. Und eben­so selbst­ver­ständ­lich darf aus der Urteils­be­grün­dung zitiert wer­den. Das ist aus guten Grün­den gän­gi­ge Pra­xis – und in rechts­staat­li­cher und vor­beu­gen­der Hin­sicht auch gebo­ten. Kein Rechts­staat kann dar­auf ver­zich­ten – eben­so wenig wie ein seriö­ses Informationsmedium.