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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Klassenjustiz

Die eine Geschich­te: Im März 2014 wur­de Uli Hoe­neß, lang­jäh­ri­ger Prä­si­dent des FC Bay­ern Mün­chen und Vor­sit­zen­der des Auf­sichts­ra­tes der FC Bay­ern Mün­chen AG, wegen sei­ner Steu­er­hin­ter­zie­hung von 28.5 Mil­lio­nen Euro zu einer Haft­stra­fe von drei­ein­halb Jah­ren ver­ur­teilt. Anfang Juni 2014 trat er in Lands­berg am Lech sei­ne Haft­stra­fe an, schon an Weih­nach­ten und zu Sil­ve­ster erhielt er im Rah­men des zuvor erstell­ten groß­zü­gi­gen Voll­zugs­plans Haft­ur­laub und durf­te die Tage bei sei­ner Fami­lie ver­brin­gen, und genau sie­ben Mona­te nach Haft­an­tritt, am 2. Janu­ar 2015, wur­de Uli Hoe­neß zum Frei­gän­ger. Tags­über arbei­te­te er in der Jugend­ab­tei­lung des FC Bay­ern Mün­chen, nachts muss­te er in der Regel zurück in die Zel­le, aber die Anstalts­lei­tung bewies dem pro­mi­nen­ten Häft­ling ihre Mensch­lich­keit und erlaub­te ihm regel­mä­ßig Über­nach­tun­gen in sei­nem Haus am Tegern­see. Ein gutes Jahr spä­ter, im Febru­ar 2016, wur­de Uli Hoe­neß ganz aus der Haft ent­las­sen. Nach Ver­bü­ßung der hal­ben Haft­stra­fe. Bei der Ent­schei­dung, Hoe­neß zu ent­las­sen, sei­en unter ande­rem sei­ne Per­sön­lich­keit und sein Vor­le­ben gewür­digt wor­den, sag­te der Gerichts­spre­cher. Auch bei der mil­den Ver­ur­tei­lung zu drei­ein­halb Jah­ren Haft hat­ten die Rich­ter dem Ange­klag­ten sein ach so vor­bild­li­ches Leben zugu­te­ge­hal­ten: sein sozia­les Enga­ge­ment, sei­ne Kar­rie­re als Fuß­ball­spie­ler und FC Bay­ern-Mana­ger, sein Geständ­nis. Von sei­ner trick­rei­chen Rück­sicht­lo­sig­keit, von sei­ner Här­te in Macht­fra­gen oder von sei­ner Geld­gier war nicht die Rede.

Die ande­re Geschich­te: Im Mai die­ses Jah­res stand im säch­si­schen Döbeln eine bis­her unbe­schol­te­ne Frau vor Gericht. Der Grund: Die Hartz-IV-Emp­fän­ge­rin hat­te dem Job­cen­ter ver­schwie­gen, dass sie sich gut drei Jah­re lang eine Woh­nung mit ihrem Lebens­part­ner geteilt, dass sie also nicht allein, son­dern in einer »Bedarfs­ge­mein­schaft« gelebt hat­te, wie es in der Spra­che der Hartz-IV-Gesetz­ge­bung heißt. Der 36-Jäh­ri­gen, die zum Zeit­punkt der Gerichts­ver­hand­lung woh­nungs­los war, wur­de Sozi­al­be­trug vor­ge­wor­fen. Durch das Ver­schwei­gen der Lebens­ge­mein­schaft habe sie die Staats­kas­se um 21.398 Euro betrogen.

Kur­ze Erklä­rung: Lebt ein erwerbs­fä­hi­ger Hartz-IV-Emp­fän­ger mit ande­ren erwerbs­fä­hi­gen Hartz-IV-Emp­fän­gern zusam­men, geht der Gesetz­ge­ber davon aus, dass man sich gegen­sei­tig Unter­halt lei­stet und mit noch weni­ger Geld aus­kom­men kann. Alle Mit­glie­der die­ser Bedarfs­ge­mein­schaft erhal­ten nur noch 90 Pro­zent des Regel­sat­zes. Lebt ein Hartz-IV-Emp­fän­ger in Lebens­ge­mein­schaft mit einem Men­schen zusam­men, der arbei­tet und ein eige­nes Ein­kom­men hat, kön­nen die Ansprü­che bis auf Null sin­ken. Der Hartz-IV-Emp­fän­ger wird zum blo­ßen Anhäng­sel, abhän­gig und auf sei­nen Part­ner angewiesen.

Sie habe nie­man­den betrü­gen wol­len, sag­te die ohne Rechts­bei­stand vor Gericht erschie­ne­ne Ange­klag­te. Ihre dama­li­ge Situa­ti­on habe sie dazu gebracht. Wel­che Situa­ti­on das war, konn­te sie unter den Blicken von Rich­te­rin und Staats­an­walt nur in Halb­sät­zen stot­tern. Doch wer genau­er hin­hör­te, ver­stand trotz­dem: Sie woll­te ein biss­chen Eige­nes haben. Sie woll­te eben nicht abhän­gig sein in einer über die gan­ze Zeit brü­chi­gen Bezie­hung. Sie woll­te den Part­ner nicht in die Situa­ti­on brin­gen, für die Berech­nung ihres Hartz-IV-Anspruchs sei­ne sämt­li­chen Finan­zen gegen­über dem Job­cen­ter offen legen zu müs­sen, und ihn dadurch viel­leicht noch schnel­ler wie­der zu ver­lie­ren. Sie woll­te nie­man­dem zur Last fal­len. Aber »ich will das jetzt nicht noch ein­mal alles aufwühlen«.

Das biss­chen Hartz IV für die klei­ne Unab­hän­gig­keit. Trotz­dem immer noch nah dran an der Hun­ger­gren­ze. Ein Auto oder eine Rei­se, Fri­seur­be­su­che oder schö­ne Kla­mot­ten, Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen oder Restau­rant­be­su­che – alles außer Reich­wei­te. Man wird nicht reich durch das »betrü­ge­ri­sche Ver­schwei­gen einer Bedarfsgemeinschaft«.

»Ich schla­fe seit Mona­ten nicht mehr«, sag­te die Ange­klag­te mit zit­tern­der Stim­me, sie wol­le end­lich alles vom Tisch haben und das Geld in Raten abstot­tern. »Auch wenn ich mit mei­nem Ein­kom­men unter der Pfän­dungs­gren­ze lie­ge.« Unter Trä­nen ver­zich­te­te die Frau auf eine Ver­tei­di­gung. Und auf ein Schlusswort.

Die eine Geschich­te: Uli Hoe­neß hat nie Reue gezeigt, hat sich nicht ent­schul­digt. Er hat geglaubt, mit sei­ner Popu­la­ri­tät, sei­nem Charme und dem Cha­ris­ma des Erfolgs­men­schen aus dem Schla­mas­sel her­aus­zu­kom­men. Er hat sich nicht wie ein Täter benom­men, son­dern wie ein Opfer – wie einer, dem Staats­an­wäl­te, Steu­er­fahn­der und Öffent­lich­keit Unge­bühr­li­ches antun, weil sie Auf­klä­rung von ihm wol­len. Auf­klä­rung dar­über, wie vie­le Mil­lio­nen Euro, Fran­ken oder Dol­lar er in der Schweiz ver­steckt hat, und dar­über, wo die drei­stel­li­gen Mil­lio­nen­be­trä­ge her­kom­men, mit denen er jon­glier­te. Mit der Wahr­heit hat Hoe­neß immer nur tak­tiert. Sei­ne erste, nach einer War­nung in Eile geba­stel­te Selbst­an­zei­ge, war unvoll­stän­dig. Die hin­ter­zo­ge­nen Steu­ern waren um ein Viel­fa­ches höher als ein­ge­räumt. Die Fahn­der, die von ihm sei­ne Schwei­zer Kon­to­un­ter­la­gen woll­ten, hielt Hoe­neß hin – viel­leicht in der Hoff­nung, er kön­ne die bela­sten­den Papie­re ganz aus dem Pro­zess her­aus­hal­ten. Hoe­neß hat den Staat über Jah­re betro­gen – und am Ende nur eine äußerst mil­de Stra­fe erhalten.

Die ande­re Geschich­te: Das Urteil für die woh­nungs­lo­se Frau in Döbeln: ein­ein­halb Jah­re Frei­heits­stra­fe auf (drei Jah­re) Bewäh­rung. Dazu 100 Stun­den gemein­nüt­zi­ge Arbeit beim Sozia­len Dienst. »Wer mehr­fach fal­sche Anga­ben zu sei­nen Lebens- und Wohn­um­stän­den macht, der han­delt bewusst«, begrün­de­te die Rich­te­rin ihr Urteil. Sol­che Hand­lun­gen könn­ten nicht ohne Kon­se­quen­zen blei­ben, da der Gesell­schaft durch sie gro­ßer Scha­den zuge­fügt wür­de. Von der Lebens­la­ge der Ange­klag­ten war nicht die Rede, nicht von ihrer Bio­gra­fie aus feh­len­den Chan­cen, nicht von den täg­li­chen Demü­ti­gun­gen der Armut. Hät­te die Frau nicht wegen Hartz-IV-Betrug, son­dern wegen Steu­er­hin­ter­zie­hung vor Gericht gestan­den, wäre ihre Stra­fe deut­lich gerin­ger aus­ge­fal­len. Bei einer Scha­dens­sum­me von 21.398 Euro wäre das Ver­fah­ren wohl ein­fach ein­ge­stellt wor­den. Kein öffent­li­cher Pro­zess, kein Ein­trag im poli­zei­li­chen Füh­rungs­zeug­nis, nur eine Geldstrafe.

Die eine Geschich­te: 2008 hat der Bun­des­ge­richts­hof einen Stu­fen-Straf­tarif für Steu­er­hin­ter­zie­hung vor­ge­ge­ben: Erst ab 100.000 Euro sei eine Frei­heits­stra­fe auf Bewäh­rung zu ver­hän­gen. Und erst jen­seits von einer Mil­li­on Euro sei­nen Frei­heits­stra­fen von mehr als zwei Jah­ren und ohne Bewäh­rung angemessen.

Die ande­re Geschich­te: Eine inter­ne Faust­re­gel gegen Hartz-IV-Betrü­ger bei der Staats­an­walt­schaft Ber­lin lau­tet: Nur bis zu einem Scha­den von 500 Euro wer­den Ver­fah­ren wegen Gering­fü­gig­keit ein­ge­stellt. Und bis zu 1000 Euro gegen Auf­la­gen, zum Bei­spiel Sozi­al­stun­den. Bei über 1000 Euro wird ange­klagt. Für Men­schen, die bei der Bean­tra­gung von Hartz IV schum­meln, gilt in vol­ler Här­te der all­ge­mei­ne Betrugs­pa­ra­graph des Straf­ge­setz­bu­ches. Zudem gehen Gerich­te bei einer zu Unrecht erhal­te­nen Hartz-IV-Lei­stung, die regel­mä­ßig jeden Monat aufs Kon­to kommt, von »gewerbs­mä­ßi­gem Betrug« aus. Der vor­ge­se­he­ne Straf­rah­men: sechs Mona­te bis zehn Jah­re Haft.

Die eine Geschich­te: Steu­er­be­trü­ger wer­den vor den Här­ten des all­ge­mei­nen Betrugs­pa­ra­gra­phen durch spe­zi­el­le Steu­er­tat­be­stän­de geschützt. Die sind mil­der und eröff­nen außer­dem Aus­we­ge. Wer mit einer Selbst­an­zei­ge rei­nen Tisch macht, kann einer Bestra­fung ent­ge­hen. Der Staat hofft so, an Geld zu kom­men, das sonst nie gemel­det wor­den wäre. Und auch jen­seits von Para­gra­phen: Den »Lei­stungs­trä­gern« unse­rer Gesell­schaft wird auf den roten Tep­pi­chen der Pro­mi­nenz eine Steu­er­hin­ter­zie­hung schnell ver­zie­hen. Schließ­lich haben sie dem Staat nur ihr selbst erwirt­schaf­te­tes Geld vor­ent­hal­ten. Doch ist es tat­säch­lich weni­ger ver­werf­lich, den Staat aus der Posi­ti­on der Stär­ke übers Ohr zu hau­en? Scha­det ein Betrü­ger wie Uli Hoe­neß der Gesell­schaft weni­ger als die Ange­klag­te aus Döbeln?

Die gan­ze Geschich­te: 50 Mil­li­ar­den Euro jähr­lich sind es, die dem Staat durch Steu­er­hin­ter­zie­hung ent­ge­hen. Dazu kom­men wei­te­re 50 Mil­li­ar­den, die durch lega­le und halb lega­le Steu­er­ver­mei­dungs­kon­struk­tio­nen ver­lo­ren gehen. Dafür könn­te man schon ein paar Kran­ken­häu­ser oder Schu­len oder Jugend­treff­punk­te bau­en. Der Scha­den durch Hartz-IV-Betrug betrug nach Anga­ben der Bun­des­agen­tur für Arbeit im ver­gan­ge­nen Jahr 57,3 Millionen.

Die eine Geschich­te: Uli Hoe­neß wur­de von den Bay­ern-Mün­chen-Mit­glie­dern mit Applaus ins Gefäng­nis ver­ab­schie­det. Und nach sei­ner Ent­las­sung mit Applaus begrüßt. Der Ein­trag ins poli­zei­li­che Füh­rungs­zeug­nis ist in sei­ner Posi­ti­on nicht rele­vant. Kaum raus aus dem Knast war Hoe­neß – mit fast 100 Pro­zent der Stim­men – auch schon wie­der Bay­ern-Prä­si­dent und Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­der. Und immer noch Millionär.

Die ande­re Geschich­te: Die Ange­klag­te aus Döbeln Frau gilt nun als vor­be­straft und wird in einer Rei­he von Beru­fen kei­ne Chan­ce mehr haben: Im Ein­zel­han­del zum Bei­spiel oder bei der Betreu­ung von Kin­dern und Jugend­li­chen. Nach der Tren­nung von ihrem Lebens­ge­fähr­ten war sie woh­nungs­los. Erspar­nis­se gibt es nicht.