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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ostseefischer

Schön, wenn man das ist, wie man heißt. Weni­ger schön, wenn man zu den ver­mut­lich letz­ten sei­ner Zunft zählt, obwohl man zu deren jüng­sten Ver­tre­tern gehört.

Das Kon­ter­fei von Erik Fischer aus Karls­ha­gen auf Use­dom steht qua­drat­me­ter­groß an der Pro­me­na­de von Ahl­beck, eines von knapp drei­ßig Fotos, immer drei im Drei­eck ent­lang des Ufer­wegs gestellt. Gesich­ter wie Land­schaf­ten, geformt von schwe­rer Arbeit, gezeich­net vom Wet­ter, kaum einer ohne Bart, die Fur­chen mit­un­ter so tief wie Schnitt­wun­den. Die Män­ner – nur eine Frau ist dar­un­ter – blicken aus­nahms­los ernst in die Kame­ra, nicht einer täuscht, wie gemein­hin auf insze­nier­ten Por­träts üblich, mit ent­blöß­ten Zäh­nen ver­meint­li­ches Wohl­be­fin­den vor. Fischen auf der Ost­see ist kein leich­tes Gewer­be, die Sor­gen las­sen sich nicht weglächeln.

Kaum drei­hun­dert Fisch­kut­ter sind noch in den küsten­na­hen Gewäs­sern zwi­schen Flens­burg und Ahl­beck unter­wegs, die mei­sten in Meck­len­burg-Vor­pom­mern. Knapp tau­send Küsten­fi­scher waren es im ein­sti­gen Bezirk Rostock, inzwi­schen lebt nur noch jeder Fünf­te vom Fisch­fang. Und die Zahl wird immer klei­ner. Die Zunft hat kei­ne Zukunft: zu hoch die Umwelt­auf­la­gen, zu nied­rig die erlaub­ten Fang­quo­ten. Beim Hering, dem »Brot­fisch« der Ost­see­fi­scher, wur­de die Fang­men­ge beson­ders dra­ma­tisch redu­ziert. 1995 zog man noch 100.000 Ton­nen aus dem Was­ser, heu­te sind den Küsten- und Kut­ter­fi­schern nur noch 1.000 Ton­nen im Jahr erlaubt. Über­fi­schung und auch der Kli­ma­wan­del haben den Herings­be­stand stark redu­ziert. Einer der wesent­li­chen Grün­de: Durch die frü­he­re Erwär­mung des Was­sers lai­chen die Fische frü­her ab, doch die Haupt­nah­rung des Herings­nach­wuch­ses ist dann noch nicht da: klei­ne Kreb­se. Sie fol­gen einem ande­ren bio­lo­gi­schen Kalen­der. Nur die spä­ten Herings­lai­che über­le­ben. Um deren Art zu erhal­ten, müs­sen sich die Herings­fi­scher beschei­den. Auch hier wird um Kom­pro­mis­se gerun­gen, die – wie wohl meist bei aus­glei­chen­den Lösungs­ver­su­chen – kei­ne Sei­te aus­rei­chend befrie­di­gen. Der Fisch­be­stand reicht allen­falls für die heu­ti­ge hal­be Flot­te. Doch die tra­di­tio­nel­le Küsten­fi­sche­rei ist kaum den Übel­tä­tern zuzu­rech­nen. Zudem sorgt sie für kur­ze Lie­fer­we­ge: Das, was die­se weni­gen hun­dert Men­schen aus dem Was­ser zie­hen, lan­det in Pfan­nen und Tie­geln an der Küste. Frisch, nicht tief­ge­fro­ren und über den Atlan­tik geflogen.

Hin­zu­ge­kom­men ist das Pro­blem mit den Kegel­rob­ben, die sich in der Ost­see aus­brei­ten. Sie fres­sen die in den Stell­net­zen gefan­ge­nen Herin­ge. Nicht nur, dass dadurch den Fischern Fisch ver­lo­ren geht: Sie müs­sen auch die Grä­ten müh­sam aus den Net­zen pulen – was über­mä­ßig viel Zeit in Anspruch nimmt, in der nichts ver­dient wird. Im Greifs­wal­der Bod­den, fünf­hun­dert Qua­drat­ki­lo­me­ter groß, jagen inzwi­schen fast hun­dert Kegel­rob­ben. Die Natur­schüt­zer freut’s, die Tou­ri­sten nicht min­der. Unterm Strich jedoch heißt das Fazit des in Kopen­ha­gen ansäs­si­gen Inter­na­tio­nal Coun­cil for the Explo­ra­ti­on of the Sea (ICES): »Die Ost­see-Fische­rei steht vor dem größ­ten Umbruch seit der Wende.«

Die Por­träts der Küsten­fi­scher, die über den Som­mer in Ahl­beck stu­diert wer­den kön­nen, haben Franz Bischof und Jan Kuchen­becker geschaf­fen. Gezeigt wer­den sie im Rah­men des Umwelt­fe­sti­vals »hori­zon­te zingst«, das ohne Unter­stüt­zung hono­ri­ger Spon­so­ren nicht zustan­de gekom­men wäre. Den­noch gebüh­ren Bei­fall und Aner­ken­nung den bei­den Licht­bild­nern. Kuchen­becker, Ham­bur­ger vom Jahr­gang 1989, und der gebür­ti­ge Ber­li­ner Bischof haben zwi­schen Okto­ber 2018 und Febru­ar 2019 Ost­see­fi­scher foto­gra­fiert – »fast lücken­los an der gesam­ten deut­schen Ost­see­kü­ste von Ost nach West«. Die ins­ge­samt 228 Por­träts sind zwar gestellt, ande­ren­falls wären sie tech­nisch nicht der­art exzel­lent, und sie erschei­nen auch nicht wie aus einem Guss. Aber man spürt kaum, dass sie insze­niert wur­den: Die Men­schen tra­gen ihr Arbeits­zeug, sind abge­spannt, müde und melan­cho­lisch, erkenn­bar kom­men sie von Arbeit auf See, das Ölzeug trägt oft die Spu­ren der ver­gan­ge­nen Schicht.

Die bei­den Foto­gra­fen haben ein bedeu­ten­des kul­tur­ge­schicht­li­ches Zeug­nis geschaf­fen. Zum einen, weil damit eine Zunft doku­men­tiert wur­de, die es ver­mut­lich bald nicht mehr geben wird. Zum ande­ren machen sie Werk­tä­ti­ge sicht­bar, was heut­zu­ta­ge sel­ten genug geschieht. In der media­len Mas­sen­flut von Bil­dern kom­men »ein­fa­che Men­schen« kaum vor, kei­ne Pro­le­ta­ri­er (wie wir sie etwa von August San­der ken­nen), weil es die­se doch angeb­lich nicht mehr gibt. Die Bil­der sind dar­um opti­sche Denk­ma­le in mehr­fa­cher Bedeu­tung. Auch wenn die­ser Begriff seit drei­ßig Jah­ren denun­ziert ist, benut­ze ich ihn den­noch, weil er alle Aspek­te treff­lich zusam­men­fasst: Es ist Agi­ta­ti­on im besten Sin­ne. Und Auf­klä­rung ist nun mal die vor­dring­lich­ste Auf­ga­be von Kunst.